es. Wer das Leben genossen hat, stirbt gern, das heißt: wer dies Leben kennt, kauft es nicht. Ist der Tod ein Uebel; ist er ein noth- wendiges Uebel? Ist es nicht eben so thöricht, sich zu grämen, daß man nur zween Augen und zehn Finger hat, als daß man sterben muß? Was nicht in unsrer Gewalt ist, solte dies uns wohl beunruhigen? Man kann es uns nicht leichter machen, als wenn uns gleich zu Anfang, ehe wir noch Hand ans Werk le- gen, gesagt wird: das ist über euch!
Der Tod ist bitter? Vielleicht den Umste- henden, dem Sterbenden nicht. -- Bist du denn schon gestorben, daß du die Bitterkeit des Todes auspunktirt hast? Ich hab' es an Sterbenden gesehen, sagst du, ich hab' es von Scheidenden gehört. Von fremden Leuten deinen Tod? Und war es der Tod, von dem sie dich unterrichten konnten? War es nicht das Leben, über das sie wehklagten? Man thut dem Tode unrecht, daß man ihn bitter beschreibt. Wer hat die Ehre, ihn zu ken- nen? Ein Cholerischer will schnell fort, ein Pflegmatischer will absterben, und nicht ster- ben: allein in allen Fällen hat nicht der Tod, sondern das Leben, die Hektik, Schlag- fluß -- Krämpfe, Gichte, Beklemmungen.
Der
es. Wer das Leben genoſſen hat, ſtirbt gern, das heißt: wer dies Leben kennt, kauft es nicht. Iſt der Tod ein Uebel; iſt er ein noth- wendiges Uebel? Iſt es nicht eben ſo thoͤricht, ſich zu graͤmen, daß man nur zween Augen und zehn Finger hat, als daß man ſterben muß? Was nicht in unſrer Gewalt iſt, ſolte dies uns wohl beunruhigen? Man kann es uns nicht leichter machen, als wenn uns gleich zu Anfang, ehe wir noch Hand ans Werk le- gen, geſagt wird: das iſt uͤber euch!
Der Tod iſt bitter? Vielleicht den Umſte- henden, dem Sterbenden nicht. — Biſt du denn ſchon geſtorben, daß du die Bitterkeit des Todes auspunktirt haſt? Ich hab’ es an Sterbenden geſehen, ſagſt du, ich hab’ es von Scheidenden gehoͤrt. Von fremden Leuten deinen Tod? Und war es der Tod, von dem ſie dich unterrichten konnten? War es nicht das Leben, uͤber das ſie wehklagten? Man thut dem Tode unrecht, daß man ihn bitter beſchreibt. Wer hat die Ehre, ihn zu ken- nen? Ein Choleriſcher will ſchnell fort, ein Pflegmatiſcher will abſterben, und nicht ſter- ben: allein in allen Faͤllen hat nicht der Tod, ſondern das Leben, die Hektik, Schlag- fluß — Kraͤmpfe, Gichte, Beklemmungen.
Der
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es. Wer das Leben genoſſen hat, ſtirbt gern,
das heißt: wer dies Leben kennt, kauft es
nicht. Iſt der Tod ein Uebel; iſt er ein noth-
wendiges Uebel? Iſt es nicht eben ſo thoͤricht,
ſich zu graͤmen, daß man nur zween Augen
und zehn Finger hat, als daß man ſterben
muß? Was nicht in unſrer Gewalt iſt, ſolte
dies uns wohl beunruhigen? Man kann es
uns nicht leichter machen, als wenn uns gleich
zu Anfang, ehe wir noch Hand ans Werk le-
gen, geſagt wird: das iſt uͤber euch!
Der Tod iſt bitter? Vielleicht den Umſte-
henden, dem Sterbenden nicht. — Biſt du
denn ſchon geſtorben, daß du die Bitterkeit
des Todes auspunktirt haſt? Ich hab’ es an
Sterbenden geſehen, ſagſt du, ich hab’ es von
Scheidenden gehoͤrt. Von fremden Leuten
deinen Tod? Und war es der Tod, von dem
ſie dich unterrichten konnten? War es nicht
das Leben, uͤber das ſie wehklagten? Man
thut dem Tode unrecht, daß man ihn bitter
beſchreibt. Wer hat die Ehre, ihn zu ken-
nen? Ein Choleriſcher will ſchnell fort, ein
Pflegmatiſcher will abſterben, und nicht ſter-
ben: allein in allen Faͤllen hat nicht der
Tod, ſondern das Leben, die Hektik, Schlag-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/190>, abgerufen am 27.11.2024.
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