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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Der Graf theilte mir sein System über
die Leichenandachten, wie er sie nannte, mit.
Die Worte: Leichenpredigt und Leichenrede
gefielen ihm nicht. Bey den Aegyptern konn-
te man nicht alle Todten ohne Unterschied lo-
ben. Es muste per judicata feststehen, der
Todten-Fiscus trat auf, und ward gehört.
Man erkannte auf Beweis salua reprobatione,
und ehrlich Begräbnis und Leichenpredigt
hieng von diesem Urtel ab. Der König hatte
vor dem geringsten seiner Cammerlaquayen
keinen Vorzug: im Leben sah man ihn durch
die Finger an, um den Staat zu schonen: nach
seinem Tode! fiat Citatio. Er so gut Staub,
Erd und Asche, als ein andrer, und warum
jetzt eine andre Procedur? Wie oft würd es
jetzt von bepredigten und beredeten Leichen heis-
sen: laßt die Todten die Todten begraben! --

Ich höre gern Leichenpredigten, setzte der
Graf hinzu; allein in meinem Sinn sind es
nicht Leichtepredigten, wenn es nemlich nicht
Lügenpredigten seyn sollen. (O! wenn meine
Mutter doch diesen letzten Gedanken von Lü-
gen- und Leichtenpredigten gehört hätte!)
Kupfern Geld, kupferne Seelmessen, fuhr
der Graf fort. Weh über diese Aergernisse!
Da heißt es denn, er hatte nichts mensch-

liches
L

Der Graf theilte mir ſein Syſtem uͤber
die Leichenandachten, wie er ſie nannte, mit.
Die Worte: Leichenpredigt und Leichenrede
gefielen ihm nicht. Bey den Aegyptern konn-
te man nicht alle Todten ohne Unterſchied lo-
ben. Es muſte per judicata feſtſtehen, der
Todten-Fiſcus trat auf, und ward gehoͤrt.
Man erkannte auf Beweis ſalua reprobatione,
und ehrlich Begraͤbnis und Leichenpredigt
hieng von dieſem Urtel ab. Der Koͤnig hatte
vor dem geringſten ſeiner Cammerlaquayen
keinen Vorzug: im Leben ſah man ihn durch
die Finger an, um den Staat zu ſchonen: nach
ſeinem Tode! fiat Citatio. Er ſo gut Staub,
Erd und Aſche, als ein andrer, und warum
jetzt eine andre Procedur? Wie oft wuͤrd es
jetzt von bepredigten und beredeten Leichen heiſ-
ſen: laßt die Todten die Todten begraben! —

Ich hoͤre gern Leichenpredigten, ſetzte der
Graf hinzu; allein in meinem Sinn ſind es
nicht Leichtepredigten, wenn es nemlich nicht
Luͤgenpredigten ſeyn ſollen. (O! wenn meine
Mutter doch dieſen letzten Gedanken von Luͤ-
gen- und Leichtenpredigten gehoͤrt haͤtte!)
Kupfern Geld, kupferne Seelmeſſen, fuhr
der Graf fort. Weh uͤber dieſe Aergerniſſe!
Da heißt es denn, er hatte nichts menſch-

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[161/0167] Der Graf theilte mir ſein Syſtem uͤber die Leichenandachten, wie er ſie nannte, mit. Die Worte: Leichenpredigt und Leichenrede gefielen ihm nicht. Bey den Aegyptern konn- te man nicht alle Todten ohne Unterſchied lo- ben. Es muſte per judicata feſtſtehen, der Todten-Fiſcus trat auf, und ward gehoͤrt. Man erkannte auf Beweis ſalua reprobatione, und ehrlich Begraͤbnis und Leichenpredigt hieng von dieſem Urtel ab. Der Koͤnig hatte vor dem geringſten ſeiner Cammerlaquayen keinen Vorzug: im Leben ſah man ihn durch die Finger an, um den Staat zu ſchonen: nach ſeinem Tode! fiat Citatio. Er ſo gut Staub, Erd und Aſche, als ein andrer, und warum jetzt eine andre Procedur? Wie oft wuͤrd es jetzt von bepredigten und beredeten Leichen heiſ- ſen: laßt die Todten die Todten begraben! — Ich hoͤre gern Leichenpredigten, ſetzte der Graf hinzu; allein in meinem Sinn ſind es nicht Leichtepredigten, wenn es nemlich nicht Luͤgenpredigten ſeyn ſollen. (O! wenn meine Mutter doch dieſen letzten Gedanken von Luͤ- gen- und Leichtenpredigten gehoͤrt haͤtte!) Kupfern Geld, kupferne Seelmeſſen, fuhr der Graf fort. Weh uͤber dieſe Aergerniſſe! Da heißt es denn, er hatte nichts menſch- liches L

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/167>, abgerufen am 23.11.2024.