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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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heilig, um sie auf irdisch Geld und Gut zu
deuten. -- Schlüßlich gab er ihr das Geleite
bis zur lezten Stufe und befahl sie Gott.
Eben dacht' ich, fuhr die Curländerin fort,
wenn Gott die Menschen auch nach Hypothek
fragen, wenn er mit ihnen verfahren sollte,
wie sie unter sich -- als ich ohnmächtig hin-
sank, und noch jetzt nicht weiß, wie ich in ein
Haus in der heilgen Geiststraße gebracht
worden. Sie fand sich, da sie erwachte, in
den Händen einer alten Frau und eines jun-
gen Mannes. Dies brachte sie zum Schrey,
denn sie stellte sich die Baase und ihren Vetter
vor; allein sie erfuhr, daß es Schwiegermut-
ter und Schwiegersohn waren. Sie war in
ihrer Erzehlung noch nicht bey der Hypothek;
als diese Mutter und Sohn sich ansahen, und
den Blick schnell abbrachen. Ein Blick, sag-
te die Curländerin, der mir wie ein Sonnen-
strahl tief in die Seele schien. -- Die Toch-
ter der Alten, die Güte selbst! -- Die guten
Leute ließen die Kinder der Curländerin hoh-
len, und gaben ihnen zween Tage zu essen und
zween Nächte Betten zu schlafen. Dieser
Schlaf war mir ein Vorschmack des Todes-
schlafs, so süß! sagte die Curländerin. Nun
kam sie in ihr häusliches Elend; allein sie

fand

heilig, um ſie auf irdiſch Geld und Gut zu
deuten. — Schluͤßlich gab er ihr das Geleite
bis zur lezten Stufe und befahl ſie Gott.
Eben dacht’ ich, fuhr die Curlaͤnderin fort,
wenn Gott die Menſchen auch nach Hypothek
fragen, wenn er mit ihnen verfahren ſollte,
wie ſie unter ſich — als ich ohnmaͤchtig hin-
ſank, und noch jetzt nicht weiß, wie ich in ein
Haus in der heilgen Geiſtſtraße gebracht
worden. Sie fand ſich, da ſie erwachte, in
den Haͤnden einer alten Frau und eines jun-
gen Mannes. Dies brachte ſie zum Schrey,
denn ſie ſtellte ſich die Baaſe und ihren Vetter
vor; allein ſie erfuhr, daß es Schwiegermut-
ter und Schwiegerſohn waren. Sie war in
ihrer Erzehlung noch nicht bey der Hypothek;
als dieſe Mutter und Sohn ſich anſahen, und
den Blick ſchnell abbrachen. Ein Blick, ſag-
te die Curlaͤnderin, der mir wie ein Sonnen-
ſtrahl tief in die Seele ſchien. — Die Toch-
ter der Alten, die Guͤte ſelbſt! — Die guten
Leute ließen die Kinder der Curlaͤnderin hoh-
len, und gaben ihnen zween Tage zu eſſen und
zween Naͤchte Betten zu ſchlafen. Dieſer
Schlaf war mir ein Vorſchmack des Todes-
ſchlafs, ſo ſuͤß! ſagte die Curlaͤnderin. Nun
kam ſie in ihr haͤusliches Elend; allein ſie

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[122/0128] heilig, um ſie auf irdiſch Geld und Gut zu deuten. — Schluͤßlich gab er ihr das Geleite bis zur lezten Stufe und befahl ſie Gott. Eben dacht’ ich, fuhr die Curlaͤnderin fort, wenn Gott die Menſchen auch nach Hypothek fragen, wenn er mit ihnen verfahren ſollte, wie ſie unter ſich — als ich ohnmaͤchtig hin- ſank, und noch jetzt nicht weiß, wie ich in ein Haus in der heilgen Geiſtſtraße gebracht worden. Sie fand ſich, da ſie erwachte, in den Haͤnden einer alten Frau und eines jun- gen Mannes. Dies brachte ſie zum Schrey, denn ſie ſtellte ſich die Baaſe und ihren Vetter vor; allein ſie erfuhr, daß es Schwiegermut- ter und Schwiegerſohn waren. Sie war in ihrer Erzehlung noch nicht bey der Hypothek; als dieſe Mutter und Sohn ſich anſahen, und den Blick ſchnell abbrachen. Ein Blick, ſag- te die Curlaͤnderin, der mir wie ein Sonnen- ſtrahl tief in die Seele ſchien. — Die Toch- ter der Alten, die Guͤte ſelbſt! — Die guten Leute ließen die Kinder der Curlaͤnderin hoh- len, und gaben ihnen zween Tage zu eſſen und zween Naͤchte Betten zu ſchlafen. Dieſer Schlaf war mir ein Vorſchmack des Todes- ſchlafs, ſo ſuͤß! ſagte die Curlaͤnderin. Nun kam ſie in ihr haͤusliches Elend; allein ſie fand

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/128>, abgerufen am 06.05.2024.