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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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seyn können. Ein gewesener Sprachschüler
hatte schon zur Zeit des genommenen Unter-
richts ein Aug' auf sie geworfen, ohne daß
sie dieses Aug auf ihren Wangen, geschweige
an ihrem Herzen empfunden. Jetzt glaubte
der gewesene Sprachschüler, beyde Augen auf
sie werfen zu können. Um indessen desto siche-
rer zu gehen, (er kannte ihre Denkungsart)
muste seine Baase, die in der Familie kup-
pelte, es mit der Ritterin freundschaftlich an-
binden. Diese Baase war in einen Engel
des Lichts gekleidet, und wenn auch vielleicht
zuweilen ein schwarzes Fleckchen hervorkam,
wie hätte es wohl unsere Curländerin sehen
können? Verliebte haben mit guten Seelen
eine gewisse Denkungsart gemein. Jene lie-
ben alles: diese halten alles für ihres Glei-
chen. Die Geschenke, womit die Baase der
Nothleidenden auf eine so gute Art zuvor-
kam, machten sie blind, wie doch Geschenke
sogar die Weisen blind machen, und die Sa-
chen der Gerechten verkehren. Der Knoten
war geschürzt, und der Buhler fand sich eines
Tages bey Frau Baasen ein, und von Stund
an, so oft die Curländerin zur Baase gieng.
In geraumer Zeit sahe sie das Netz nicht,
das zu ihrem Fang ausgebreitet war. Einst

aber
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ſeyn koͤnnen. Ein geweſener Sprachſchuͤler
hatte ſchon zur Zeit des genommenen Unter-
richts ein Aug’ auf ſie geworfen, ohne daß
ſie dieſes Aug auf ihren Wangen, geſchweige
an ihrem Herzen empfunden. Jetzt glaubte
der geweſene Sprachſchuͤler, beyde Augen auf
ſie werfen zu koͤnnen. Um indeſſen deſto ſiche-
rer zu gehen, (er kannte ihre Denkungsart)
muſte ſeine Baaſe, die in der Familie kup-
pelte, es mit der Ritterin freundſchaftlich an-
binden. Dieſe Baaſe war in einen Engel
des Lichts gekleidet, und wenn auch vielleicht
zuweilen ein ſchwarzes Fleckchen hervorkam,
wie haͤtte es wohl unſere Curlaͤnderin ſehen
koͤnnen? Verliebte haben mit guten Seelen
eine gewiſſe Denkungsart gemein. Jene lie-
ben alles: dieſe halten alles fuͤr ihres Glei-
chen. Die Geſchenke, womit die Baaſe der
Nothleidenden auf eine ſo gute Art zuvor-
kam, machten ſie blind, wie doch Geſchenke
ſogar die Weiſen blind machen, und die Sa-
chen der Gerechten verkehren. Der Knoten
war geſchuͤrzt, und der Buhler fand ſich eines
Tages bey Frau Baaſen ein, und von Stund
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In geraumer Zeit ſahe ſie das Netz nicht,
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[119/0125] ſeyn koͤnnen. Ein geweſener Sprachſchuͤler hatte ſchon zur Zeit des genommenen Unter- richts ein Aug’ auf ſie geworfen, ohne daß ſie dieſes Aug auf ihren Wangen, geſchweige an ihrem Herzen empfunden. Jetzt glaubte der geweſene Sprachſchuͤler, beyde Augen auf ſie werfen zu koͤnnen. Um indeſſen deſto ſiche- rer zu gehen, (er kannte ihre Denkungsart) muſte ſeine Baaſe, die in der Familie kup- pelte, es mit der Ritterin freundſchaftlich an- binden. Dieſe Baaſe war in einen Engel des Lichts gekleidet, und wenn auch vielleicht zuweilen ein ſchwarzes Fleckchen hervorkam, wie haͤtte es wohl unſere Curlaͤnderin ſehen koͤnnen? Verliebte haben mit guten Seelen eine gewiſſe Denkungsart gemein. Jene lie- ben alles: dieſe halten alles fuͤr ihres Glei- chen. Die Geſchenke, womit die Baaſe der Nothleidenden auf eine ſo gute Art zuvor- kam, machten ſie blind, wie doch Geſchenke ſogar die Weiſen blind machen, und die Sa- chen der Gerechten verkehren. Der Knoten war geſchuͤrzt, und der Buhler fand ſich eines Tages bey Frau Baaſen ein, und von Stund an, ſo oft die Curlaͤnderin zur Baaſe gieng. In geraumer Zeit ſahe ſie das Netz nicht, das zu ihrem Fang ausgebreitet war. Einſt aber H 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/125>, abgerufen am 23.11.2024.