brauner. Nichts an ihm verunglückt; kein Fleck, nichts schiefes an ihm, wie ein ausge- wachsener Halm im Kleinen, war er im Gros- sen, gerad bis auf sein Seitenhaar, das kraus lag in natürlichen Locken. Man glaubte, die liebe Natur hätt es mit ihnen zu einem Knoten angelegt, und sie wären im Zuziehen gestört worden.
Sein Auge meldte jedem an, es sey der Mann ein Edelmann.
Nur die Augenbranen waren wild gewachsen, sehr wild! Da lag das Böse vom Edelmann, denn wenn er gleich schön von außen war, so hatt' er doch einen innerlichen Schaden. Sein Herz war eine Mördergrube, und von draußen stand ein schöner adlicher Hof. O hört, ihr tu- gendsame Jungfrauen, was sich zutrug im Jahr nach Christi Geburt ein tausend sieben hundert und sieben, hört es und weint um eure Schwester! Es war einmal ein ehrlicher Bür- gersmann, der hatt' eine schöne Tochter. Der Pastor sah sie an, wenn er die Schönheit des Engels beschrieb, der auf Gottes Geheiß einen menschlichen Leib auf eine kurze Zeit angezo- gen. Er sah nicht seine Frau an, denn die war alt, obgleich sie sich beyde nichts vorzurü- cken hatten, und er auch alt war. Annens
Leib
brauner. Nichts an ihm verungluͤckt; kein Fleck, nichts ſchiefes an ihm, wie ein ausge- wachſener Halm im Kleinen, war er im Groſ- ſen, gerad bis auf ſein Seitenhaar, das kraus lag in natuͤrlichen Locken. Man glaubte, die liebe Natur haͤtt es mit ihnen zu einem Knoten angelegt, und ſie waͤren im Zuziehen geſtoͤrt worden.
Sein Auge meldte jedem an, es ſey der Mann ein Edelmann.
Nur die Augenbranen waren wild gewachſen, ſehr wild! Da lag das Boͤſe vom Edelmann, denn wenn er gleich ſchoͤn von außen war, ſo hatt’ er doch einen innerlichen Schaden. Sein Herz war eine Moͤrdergrube, und von draußen ſtand ein ſchoͤner adlicher Hof. O hoͤrt, ihr tu- gendſame Jungfrauen, was ſich zutrug im Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend ſieben hundert und ſieben, hoͤrt es und weint um eure Schweſter! Es war einmal ein ehrlicher Buͤr- gersmann, der hatt’ eine ſchoͤne Tochter. Der Paſtor ſah ſie an, wenn er die Schoͤnheit des Engels beſchrieb, der auf Gottes Geheiß einen menſchlichen Leib auf eine kurze Zeit angezo- gen. Er ſah nicht ſeine Frau an, denn die war alt, obgleich ſie ſich beyde nichts vorzuruͤ- cken hatten, und er auch alt war. Annens
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brauner. Nichts an ihm verungluͤckt; kein
Fleck, nichts ſchiefes an ihm, wie ein ausge-
wachſener Halm im Kleinen, war er im Groſ-
ſen, gerad bis auf ſein Seitenhaar, das
kraus lag in natuͤrlichen Locken. Man
glaubte, die liebe Natur haͤtt es mit ihnen
zu einem Knoten angelegt, und ſie waͤren
im Zuziehen geſtoͤrt worden.
Sein Auge meldte jedem an,
es ſey der Mann ein Edelmann.
Nur die Augenbranen waren wild gewachſen,
ſehr wild! Da lag das Boͤſe vom Edelmann,
denn wenn er gleich ſchoͤn von außen war, ſo
hatt’ er doch einen innerlichen Schaden. Sein
Herz war eine Moͤrdergrube, und von draußen
ſtand ein ſchoͤner adlicher Hof. O hoͤrt, ihr tu-
gendſame Jungfrauen, was ſich zutrug im
Jahr nach Chriſti Geburt ein tauſend ſieben
hundert und ſieben, hoͤrt es und weint um eure
Schweſter! Es war einmal ein ehrlicher Buͤr-
gersmann, der hatt’ eine ſchoͤne Tochter. Der
Paſtor ſah ſie an, wenn er die Schoͤnheit des
Engels beſchrieb, der auf Gottes Geheiß einen
menſchlichen Leib auf eine kurze Zeit angezo-
gen. Er ſah nicht ſeine Frau an, denn die
war alt, obgleich ſie ſich beyde nichts vorzuruͤ-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/617>, abgerufen am 24.11.2024.
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