Frücht' ansetzen werden zu seiner Zeit. Hast du aber nicht bemerkt, Greger, die Blätter sträuben sich lang, und trotzen dem Herbst; fält aber das erste gelbe Blatt: fallen ihm mehr nach, bis der Baum nackt und blos steht! -- Ich bin bereit, mein Weib ist be- reit. O, wären wir die ersten, die nach diesem gelben Blatt fielen! Ruhe wohl, Ja- cob! Du bist, so klein du warest, eines christlichen Begräbnisses werth, und eines Leichenschmauses! Fromm wollen wir reden, Nachbar, und das lezte Glas wollen wir trinken: auf ein seliges Ende! --
Tanne; warum so stolz unter deines gleichen? Warum Meuterey wider die kö- nigliche Familie der Eiche? Ich, dein Landsmann, aus Norden gebürtig, wie du, finde keine Hoheit an dir von Fuß bis zur Scheitel! Wenn sanfte Winde dich und al- les, was um dir ist, mit einer verstehbaren Sprache beleben, rausche mir zu, was dein Vorzug ist, damit ichs durch den Wiederhall deinen Nachbaren, wer sie auch sind, ver- kündige, auf daß sie dich ehren, wie die kö- nigliche Eiche geehrt wird, und wenn du es verdienst, noch mehr. Sieh an die maje-
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Fruͤcht’ anſetzen werden zu ſeiner Zeit. Haſt du aber nicht bemerkt, Greger, die Blaͤtter ſtraͤuben ſich lang, und trotzen dem Herbſt; faͤlt aber das erſte gelbe Blatt: fallen ihm mehr nach, bis der Baum nackt und blos ſteht! — Ich bin bereit, mein Weib iſt be- reit. O, waͤren wir die erſten, die nach dieſem gelben Blatt fielen! Ruhe wohl, Ja- cob! Du biſt, ſo klein du wareſt, eines chriſtlichen Begraͤbniſſes werth, und eines Leichenſchmauſes! Fromm wollen wir reden, Nachbar, und das lezte Glas wollen wir trinken: auf ein ſeliges Ende! —
Tanne; warum ſo ſtolz unter deines gleichen? Warum Meuterey wider die koͤ- nigliche Familie der Eiche? Ich, dein Landsmann, aus Norden gebuͤrtig, wie du, finde keine Hoheit an dir von Fuß bis zur Scheitel! Wenn ſanfte Winde dich und al- les, was um dir iſt, mit einer verſtehbaren Sprache beleben, rauſche mir zu, was dein Vorzug iſt, damit ichs durch den Wiederhall deinen Nachbaren, wer ſie auch ſind, ver- kuͤndige, auf daß ſie dich ehren, wie die koͤ- nigliche Eiche geehrt wird, und wenn du es verdienſt, noch mehr. Sieh an die maje-
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Fruͤcht’ anſetzen werden zu ſeiner Zeit. Haſt
du aber nicht bemerkt, Greger, die Blaͤtter
ſtraͤuben ſich lang, und trotzen dem Herbſt;
faͤlt aber das erſte gelbe Blatt: fallen ihm
mehr nach, bis der Baum nackt und blos
ſteht! — Ich bin bereit, mein Weib iſt be-
reit. O, waͤren wir die erſten, die nach
dieſem gelben Blatt fielen! Ruhe wohl, Ja-
cob! Du biſt, ſo klein du wareſt, eines
chriſtlichen Begraͤbniſſes werth, und eines
Leichenſchmauſes! Fromm wollen wir reden,
Nachbar, und das lezte Glas wollen wir
trinken: auf ein ſeliges Ende! —
Tanne; warum ſo ſtolz unter deines
gleichen? Warum Meuterey wider die koͤ-
nigliche Familie der Eiche? Ich, dein
Landsmann, aus Norden gebuͤrtig, wie du,
finde keine Hoheit an dir von Fuß bis zur
Scheitel! Wenn ſanfte Winde dich und al-
les, was um dir iſt, mit einer verſtehbaren
Sprache beleben, rauſche mir zu, was dein
Vorzug iſt, damit ichs durch den Wiederhall
deinen Nachbaren, wer ſie auch ſind, ver-
kuͤndige, auf daß ſie dich ehren, wie die koͤ-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 601. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/613>, abgerufen am 24.11.2024.
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