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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Lilie kann ein Zephyr niederwerfen. Ein Hauch
ist Sieger über sie. -- Catharinens Zudring-
lichkeit und der Vörfall, daß Mine eben am
Fenster stand, da die Soldaten anrückten,
schlug sie ganz und gar nieder, und nie hat sie
sich weiter aufgerichtet -- nie! -- -- Für
sie war keine Quelle mehr, die den müden ab-
getragenen Wanderer am schwulen Tag' er-
götzt. Kein Trunk mehr kühlte sie! -- Sie
hatte ausgelebet! -- den letzten Lebenstropfen
kostete ihr dieser Vorfall. Gott, rief sie, in
deine Hände, in deine Hände! nicht Herr in
die Hände meiner! deiner Feinde! -- Dir,
dir, Herr! leb ich, dir, dir sierb' ich! --
Der Pfarrer hatte genug mit dem Justizrath
-- zu thun, und konnte nach der kränklichen
Pflanze nicht sehen, die er bisher mit so vieler
Sorgfalt jedem Sturm, jedem sengenden
Sonnenstral entzogen, die er gepfleget, wie
ein Vater eine kranke Tochter pflegt, die sei-
nem seligen Weib' ähnlich ist. --

Das Pastorat, oder, wie man in Preus-
sen spricht, die Widdem, war von Soldaten
umzingelt. -- Mine war ohne Trost, ohne
Leben. Das ganze Hauß war in Aufruhr,
und die arme Predigerin über diesen Vorfall
so weg, daß sie völlig aus ihrem Geleise trat,

und
H h 2

Lilie kann ein Zephyr niederwerfen. Ein Hauch
iſt Sieger uͤber ſie. — Catharinens Zudring-
lichkeit und der Voͤrfall, daß Mine eben am
Fenſter ſtand, da die Soldaten anruͤckten,
ſchlug ſie ganz und gar nieder, und nie hat ſie
ſich weiter aufgerichtet — nie! — — Fuͤr
ſie war keine Quelle mehr, die den muͤden ab-
getragenen Wanderer am ſchwulen Tag’ er-
goͤtzt. Kein Trunk mehr kuͤhlte ſie! — Sie
hatte ausgelebet! — den letzten Lebenstropfen
koſtete ihr dieſer Vorfall. Gott, rief ſie, in
deine Haͤnde, in deine Haͤnde! nicht Herr in
die Haͤnde meiner! deiner Feinde! — Dir,
dir, Herr! leb ich, dir, dir ſierb’ ich! —
Der Pfarrer hatte genug mit dem Juſtizrath
— zu thun, und konnte nach der kraͤnklichen
Pflanze nicht ſehen, die er bisher mit ſo vieler
Sorgfalt jedem Sturm, jedem ſengenden
Sonnenſtral entzogen, die er gepfleget, wie
ein Vater eine kranke Tochter pflegt, die ſei-
nem ſeligen Weib’ aͤhnlich iſt. —

Das Paſtorat, oder, wie man in Preuſ-
ſen ſpricht, die Widdem, war von Soldaten
umzingelt. — Mine war ohne Troſt, ohne
Leben. Das ganze Hauß war in Aufruhr,
und die arme Predigerin uͤber dieſen Vorfall
ſo weg, daß ſie voͤllig aus ihrem Geleiſe trat,

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[483/0493] Lilie kann ein Zephyr niederwerfen. Ein Hauch iſt Sieger uͤber ſie. — Catharinens Zudring- lichkeit und der Voͤrfall, daß Mine eben am Fenſter ſtand, da die Soldaten anruͤckten, ſchlug ſie ganz und gar nieder, und nie hat ſie ſich weiter aufgerichtet — nie! — — Fuͤr ſie war keine Quelle mehr, die den muͤden ab- getragenen Wanderer am ſchwulen Tag’ er- goͤtzt. Kein Trunk mehr kuͤhlte ſie! — Sie hatte ausgelebet! — den letzten Lebenstropfen koſtete ihr dieſer Vorfall. Gott, rief ſie, in deine Haͤnde, in deine Haͤnde! nicht Herr in die Haͤnde meiner! deiner Feinde! — Dir, dir, Herr! leb ich, dir, dir ſierb’ ich! — Der Pfarrer hatte genug mit dem Juſtizrath — zu thun, und konnte nach der kraͤnklichen Pflanze nicht ſehen, die er bisher mit ſo vieler Sorgfalt jedem Sturm, jedem ſengenden Sonnenſtral entzogen, die er gepfleget, wie ein Vater eine kranke Tochter pflegt, die ſei- nem ſeligen Weib’ aͤhnlich iſt. — Das Paſtorat, oder, wie man in Preuſ- ſen ſpricht, die Widdem, war von Soldaten umzingelt. — Mine war ohne Troſt, ohne Leben. Das ganze Hauß war in Aufruhr, und die arme Predigerin uͤber dieſen Vorfall ſo weg, daß ſie voͤllig aus ihrem Geleiſe trat, und H h 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/493>, abgerufen am 27.11.2024.