Der alte Herr hieß mich während dieser Erzählung Herr Candidat, und freute sich, daß auch ich ihn Herr Candidat nennte. Eine Höflichkeit ist der andern werth. Je öfter ich Herr Candidat sagte, je mehr er- zählt' er mir von Minchen mit einer ge- wissen väterlichen Wohlmeinung, und je öf- ter nannt' er auch mich wieder Herr Candi- dat. Er fieng an, mir diesen Titel beyzu- legen.
Ein Paar lose Buben (ich erzähl ein Paar Geschichtchen von meiner Mine) hat- ten aus einem Finkenneste zwey Eyerchen gestolen, und den Inhalt derselben heraus- geblasen. Dies erzählten diese Buben dem kleinen Minchen. Sie bildete sich ein -- sie hat eine starke Einbildungskraft -- daß das beraubte Paar ihr verlaßnes Nest vom benachbarten Baume ansähe, und sich ihr Leid einander klagte. -- Minchen klagte mit. Das liebe Mädchen wußte, daß man der Henne die Eyer nicht wegnimmt, daß sie solche als getreues Hausthier dem Men- schen hinlegt. Sie bat ihre Mutter um zwey Eyer, die ihr heute und gestern die Henne mit der schwarzen Mütze geschenkt hatte, und hat den Benjamin, ihr den Ge-
fallen
Der alte Herr hieß mich waͤhrend dieſer Erzaͤhlung Herr Candidat, und freute ſich, daß auch ich ihn Herr Candidat nennte. Eine Hoͤflichkeit iſt der andern werth. Je oͤfter ich Herr Candidat ſagte, je mehr er- zaͤhlt’ er mir von Minchen mit einer ge- wiſſen vaͤterlichen Wohlmeinung, und je oͤf- ter nannt’ er auch mich wieder Herr Candi- dat. Er fieng an, mir dieſen Titel beyzu- legen.
Ein Paar loſe Buben (ich erzaͤhl ein Paar Geſchichtchen von meiner Mine) hat- ten aus einem Finkenneſte zwey Eyerchen geſtolen, und den Inhalt derſelben heraus- geblaſen. Dies erzaͤhlten dieſe Buben dem kleinen Minchen. Sie bildete ſich ein — ſie hat eine ſtarke Einbildungskraft — daß das beraubte Paar ihr verlaßnes Neſt vom benachbarten Baume anſaͤhe, und ſich ihr Leid einander klagte. — Minchen klagte mit. Das liebe Maͤdchen wußte, daß man der Henne die Eyer nicht wegnimmt, daß ſie ſolche als getreues Hausthier dem Men- ſchen hinlegt. Sie bat ihre Mutter um zwey Eyer, die ihr heute und geſtern die Henne mit der ſchwarzen Muͤtze geſchenkt hatte, und hat den Benjamin, ihr den Ge-
fallen
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Der alte Herr hieß mich waͤhrend dieſer
Erzaͤhlung Herr Candidat, und freute ſich,
daß auch ich ihn Herr Candidat nennte.
Eine Hoͤflichkeit iſt der andern werth. Je
oͤfter ich Herr Candidat ſagte, je mehr er-
zaͤhlt’ er mir von Minchen mit einer ge-
wiſſen vaͤterlichen Wohlmeinung, und je oͤf-
ter nannt’ er auch mich wieder Herr Candi-
dat. Er fieng an, mir dieſen Titel beyzu-
legen.
Ein Paar loſe Buben (ich erzaͤhl ein
Paar Geſchichtchen von meiner Mine) hat-
ten aus einem Finkenneſte zwey Eyerchen
geſtolen, und den Inhalt derſelben heraus-
geblaſen. Dies erzaͤhlten dieſe Buben dem
kleinen Minchen. Sie bildete ſich ein —
ſie hat eine ſtarke Einbildungskraft — daß
das beraubte Paar ihr verlaßnes Neſt vom
benachbarten Baume anſaͤhe, und ſich ihr
Leid einander klagte. — Minchen klagte
mit. Das liebe Maͤdchen wußte, daß man
der Henne die Eyer nicht wegnimmt, daß
ſie ſolche als getreues Hausthier dem Men-
ſchen hinlegt. Sie bat ihre Mutter um
zwey Eyer, die ihr heute und geſtern die
Henne mit der ſchwarzen Muͤtze geſchenkt
hatte, und hat den Benjamin, ihr den Ge-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/37>, abgerufen am 27.11.2024.
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