fallen zu thun, die Wallfahrt auf den Bir- kenbaum zu übernehmen, und das verlaßne eiskalt gewordene Finkennest durch die zwey Hünereyer zu entschädigen. Dieser schlug es der Gefahr wegen aus, er war zu der Zeit noch link und lahm -- und bemerkte sehr weislich, daß die Hünereyer größer wären, als die Finkeneyer, die er selbst in den Händen der Buben gesehen. Minchen freute sich darüber: indem sie glaubte, den Schaden desto vollständiger zu ersetzen. Ge- gen kleine! große! Sie bat ihren Bruder, und bat ihn wieder. Er aber blieb bey sei- nem Nein, und seiner weisen Bemerkung. -- Endlich sah sie den Baum einigemal an, übermaas sich und ihn, und da sie ganz al- lein war, erstieg sie ihn, und legte die bey- den Eyer in das verlaßne Nest, in Hof- nung, es würden sich die Eigenthümer wie- der zu Hause finden. Die Vögel, die häu- fig auf den Aesten des Baumes saßen, den sie erstieg, wurden nicht im mindesten ver- scheucht. Sie sahen sie ohngefehr, wie fromme Leute einen Engel sehen würden. -- Den beyden Finken, die Minchen vor die bestolne Eltern hielt, sah' und hörte sie die Freud' und Dankbarkeit an. Voll Entzü-
ckung
fallen zu thun, die Wallfahrt auf den Bir- kenbaum zu uͤbernehmen, und das verlaßne eiskalt gewordene Finkenneſt durch die zwey Huͤnereyer zu entſchaͤdigen. Dieſer ſchlug es der Gefahr wegen aus, er war zu der Zeit noch link und lahm — und bemerkte ſehr weislich, daß die Huͤnereyer groͤßer waͤren, als die Finkeneyer, die er ſelbſt in den Haͤnden der Buben geſehen. Minchen freute ſich daruͤber: indem ſie glaubte, den Schaden deſto vollſtaͤndiger zu erſetzen. Ge- gen kleine! große! Sie bat ihren Bruder, und bat ihn wieder. Er aber blieb bey ſei- nem Nein, und ſeiner weiſen Bemerkung. — Endlich ſah ſie den Baum einigemal an, uͤbermaas ſich und ihn, und da ſie ganz al- lein war, erſtieg ſie ihn, und legte die bey- den Eyer in das verlaßne Neſt, in Hof- nung, es wuͤrden ſich die Eigenthuͤmer wie- der zu Hauſe finden. Die Voͤgel, die haͤu- fig auf den Aeſten des Baumes ſaßen, den ſie erſtieg, wurden nicht im mindeſten ver- ſcheucht. Sie ſahen ſie ohngefehr, wie fromme Leute einen Engel ſehen wuͤrden. — Den beyden Finken, die Minchen vor die beſtolne Eltern hielt, ſah’ und hoͤrte ſie die Freud’ und Dankbarkeit an. Voll Entzuͤ-
ckung
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0038"n="32"/>
fallen zu thun, die Wallfahrt auf den Bir-<lb/>
kenbaum zu uͤbernehmen, und das verlaßne<lb/>
eiskalt gewordene Finkenneſt durch die zwey<lb/>
Huͤnereyer zu entſchaͤdigen. Dieſer ſchlug<lb/>
es der Gefahr wegen aus, er war zu der<lb/>
Zeit noch link und lahm — und bemerkte<lb/>ſehr weislich, daß die Huͤnereyer groͤßer<lb/>
waͤren, als die Finkeneyer, die er ſelbſt in<lb/>
den Haͤnden der Buben geſehen. Minchen<lb/>
freute ſich daruͤber: indem ſie glaubte, den<lb/>
Schaden deſto vollſtaͤndiger zu erſetzen. Ge-<lb/>
gen kleine! große! Sie bat ihren Bruder,<lb/>
und bat ihn wieder. Er aber blieb bey ſei-<lb/>
nem Nein, und ſeiner weiſen Bemerkung. —<lb/>
Endlich ſah ſie den Baum einigemal an,<lb/>
uͤbermaas ſich und ihn, und da ſie ganz al-<lb/>
lein war, erſtieg ſie ihn, und legte die bey-<lb/>
den Eyer in das verlaßne Neſt, in Hof-<lb/>
nung, es wuͤrden ſich die Eigenthuͤmer wie-<lb/>
der zu Hauſe finden. Die Voͤgel, die haͤu-<lb/>
fig auf den Aeſten des Baumes ſaßen, den<lb/>ſie erſtieg, wurden nicht im mindeſten ver-<lb/>ſcheucht. Sie ſahen ſie ohngefehr, wie<lb/>
fromme Leute einen Engel ſehen wuͤrden. —<lb/>
Den beyden Finken, die Minchen vor die<lb/>
beſtolne Eltern hielt, ſah’ und hoͤrte ſie die<lb/>
Freud’ und Dankbarkeit an. Voll Entzuͤ-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ckung</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[32/0038]
fallen zu thun, die Wallfahrt auf den Bir-
kenbaum zu uͤbernehmen, und das verlaßne
eiskalt gewordene Finkenneſt durch die zwey
Huͤnereyer zu entſchaͤdigen. Dieſer ſchlug
es der Gefahr wegen aus, er war zu der
Zeit noch link und lahm — und bemerkte
ſehr weislich, daß die Huͤnereyer groͤßer
waͤren, als die Finkeneyer, die er ſelbſt in
den Haͤnden der Buben geſehen. Minchen
freute ſich daruͤber: indem ſie glaubte, den
Schaden deſto vollſtaͤndiger zu erſetzen. Ge-
gen kleine! große! Sie bat ihren Bruder,
und bat ihn wieder. Er aber blieb bey ſei-
nem Nein, und ſeiner weiſen Bemerkung. —
Endlich ſah ſie den Baum einigemal an,
uͤbermaas ſich und ihn, und da ſie ganz al-
lein war, erſtieg ſie ihn, und legte die bey-
den Eyer in das verlaßne Neſt, in Hof-
nung, es wuͤrden ſich die Eigenthuͤmer wie-
der zu Hauſe finden. Die Voͤgel, die haͤu-
fig auf den Aeſten des Baumes ſaßen, den
ſie erſtieg, wurden nicht im mindeſten ver-
ſcheucht. Sie ſahen ſie ohngefehr, wie
fromme Leute einen Engel ſehen wuͤrden. —
Den beyden Finken, die Minchen vor die
beſtolne Eltern hielt, ſah’ und hoͤrte ſie die
Freud’ und Dankbarkeit an. Voll Entzuͤ-
ckung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/38>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.