Mangel noch Ueberfluß ist, sondern just die erforderlichen Gelenke. -- Die Naturphi- losophie ist keine Feindin von reinen Vernunfts- begriffen; allein sie bestätiget sie, wenn ich so sagen soll, auf der Stelle. -- Sie schaft sich gleich einen Abdruck -- wie Gott die Welt. -- Die Religion fängt heut zu Tage mit dem Catechismus, und die Philosophie mit einem Compendio an. -- Allein in Wahrheit, man solt' auf ein lebendiges Er- kenntniß dringen, dann würde man doch ein- mal einen Philosophen zu sehen bekommen. --
Roußeau, damit ich eine Bemerkung mache, die in unsern Tagen zu Hause ge- hört, Roußeau, (schade! daß er todt ist,) war wirklich eine Spektabilität unter den Philosophen. -- Der bloße philosophische Künstler weiß nichts rechtes, nicht daß ein Gott ist; der arme Schelm! man könnte die natürliche: Philosophie kat exokhen, die künst- liche: Vernünfteley nennen. Die Vernünf- teley und die Zweifelsucht sind Grenznachba- ren. Ein Zweifler und ein Abergläubischer sind Schwester und Bruder. -- Ein Zweif- ler macht sich sein Leben nicht gemächlich. -- Nein, er hat sich mehr aufgelegt. Er hat Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt.
Im
Mangel noch Ueberfluß iſt, ſondern juſt die erforderlichen Gelenke. — Die Naturphi- loſophie iſt keine Feindin von reinen Vernunfts- begriffen; allein ſie beſtaͤtiget ſie, wenn ich ſo ſagen ſoll, auf der Stelle. — Sie ſchaft ſich gleich einen Abdruck — wie Gott die Welt. — Die Religion faͤngt heut zu Tage mit dem Catechismus, und die Philoſophie mit einem Compendio an. — Allein in Wahrheit, man ſolt’ auf ein lebendiges Er- kenntniß dringen, dann wuͤrde man doch ein- mal einen Philoſophen zu ſehen bekommen. —
Roußeau, damit ich eine Bemerkung mache, die in unſern Tagen zu Hauſe ge- hoͤrt, Roußeau, (ſchade! daß er todt iſt,) war wirklich eine Spektabilitaͤt unter den Philoſophen. — Der bloße philoſophiſche Kuͤnſtler weiß nichts rechtes, nicht daß ein Gott iſt; der arme Schelm! man koͤnnte die natuͤrliche: Philoſophie κατ̕ εξοχην, die kuͤnſt- liche: Vernuͤnfteley nennen. Die Vernuͤnf- teley und die Zweifelſucht ſind Grenznachba- ren. Ein Zweifler und ein Aberglaͤubiſcher ſind Schweſter und Bruder. — Ein Zweif- ler macht ſich ſein Leben nicht gemaͤchlich. — Nein, er hat ſich mehr aufgelegt. Er hat Ja und Nein zu tragen, wenn er denkt.
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Mangel noch Ueberfluß iſt, ſondern juſt die
erforderlichen Gelenke. — Die Naturphi-
loſophie iſt keine Feindin von reinen Vernunfts-
begriffen; allein ſie beſtaͤtiget ſie, wenn ich
ſo ſagen ſoll, auf der Stelle. — Sie ſchaft
ſich gleich einen Abdruck — wie Gott die
Welt. — Die Religion faͤngt heut zu Tage
mit dem Catechismus, und die Philoſophie
mit einem Compendio an. — Allein in
Wahrheit, man ſolt’ auf ein lebendiges Er-
kenntniß dringen, dann wuͤrde man doch ein-
mal einen Philoſophen zu ſehen bekommen. —
Roußeau, damit ich eine Bemerkung
mache, die in unſern Tagen zu Hauſe ge-
hoͤrt, Roußeau, (ſchade! daß er todt iſt,)
war wirklich eine Spektabilitaͤt unter den
Philoſophen. — Der bloße philoſophiſche
Kuͤnſtler weiß nichts rechtes, nicht daß ein
Gott iſt; der arme Schelm! man koͤnnte die
natuͤrliche: Philoſophie κατ̕ εξοχην, die kuͤnſt-
liche: Vernuͤnfteley nennen. Die Vernuͤnf-
teley und die Zweifelſucht ſind Grenznachba-
ren. Ein Zweifler und ein Aberglaͤubiſcher
ſind Schweſter und Bruder. — Ein Zweif-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/234>, abgerufen am 23.11.2024.
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