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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Mann meynt und wünscht, und selbst dazu
ist er ex speciali gratia privilegirt; der Weise
denkt und will. Verstand und Wille zu-
sammen ist eine Seele. Wer kann die Seele
halbiren? Der Mann hat Geist und Leben,
das heißt: der Mann ist ein Philosoph na-
türlicher Art. Zwar sagt man auch, dies
Buch hat Geist und Leben; allein alsdann
denkt man, der Verfaßer, ein Philosoph der
besagten Art, hat es geschrieben, und es sich
so ähnlich gemacht, daß er ihm etwas Geist
und Leben abgegeben. Er hat es angehau-
chet! -- wie Gott den bis auf die Seele fer-
tigen Adam. Der Mann ist im Buch ge-
troffen! -- -- -- Oft hab' ich gehört:
wenn man den Mann sieht, und sein Buch,
solte man sie wohl für Vater und Sohn hal-
ten? Ja -- und wenn ihr sie nicht dafür
haltet, liegt es an euch. Wie der Autor,
so das Buch, per omnia saecula saeculorum.
Jeder Physionomist muß den Autor aus dem
Buch abziehen, und zum reden treffen.
Das Buch hat Hand und Fuß, der Mann
hat Hand und Fuß, heißt ein Mann mit
Winkelmaaß und Waage, der alles mißt
und paßt, und ein Buch von der nemlichen
richtigen abgemessenen Weise, wo weder

Man-
Zweiter Th. P

Mann meynt und wuͤnſcht, und ſelbſt dazu
iſt er ex ſpeciali gratia privilegirt; der Weiſe
denkt und will. Verſtand und Wille zu-
ſammen iſt eine Seele. Wer kann die Seele
halbiren? Der Mann hat Geiſt und Leben,
das heißt: der Mann iſt ein Philoſoph na-
tuͤrlicher Art. Zwar ſagt man auch, dies
Buch hat Geiſt und Leben; allein alsdann
denkt man, der Verfaßer, ein Philoſoph der
beſagten Art, hat es geſchrieben, und es ſich
ſo aͤhnlich gemacht, daß er ihm etwas Geiſt
und Leben abgegeben. Er hat es angehau-
chet! — wie Gott den bis auf die Seele fer-
tigen Adam. Der Mann iſt im Buch ge-
troffen! — — — Oft hab’ ich gehoͤrt:
wenn man den Mann ſieht, und ſein Buch,
ſolte man ſie wohl fuͤr Vater und Sohn hal-
ten? Ja — und wenn ihr ſie nicht dafuͤr
haltet, liegt es an euch. Wie der Autor,
ſo das Buch, per omnia ſæcula ſæculorum.
Jeder Phyſionomiſt muß den Autor aus dem
Buch abziehen, und zum reden treffen.
Das Buch hat Hand und Fuß, der Mann
hat Hand und Fuß, heißt ein Mann mit
Winkelmaaß und Waage, der alles mißt
und paßt, und ein Buch von der nemlichen
richtigen abgemeſſenen Weiſe, wo weder

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Zweiter Th. P
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[225/0233] Mann meynt und wuͤnſcht, und ſelbſt dazu iſt er ex ſpeciali gratia privilegirt; der Weiſe denkt und will. Verſtand und Wille zu- ſammen iſt eine Seele. Wer kann die Seele halbiren? Der Mann hat Geiſt und Leben, das heißt: der Mann iſt ein Philoſoph na- tuͤrlicher Art. Zwar ſagt man auch, dies Buch hat Geiſt und Leben; allein alsdann denkt man, der Verfaßer, ein Philoſoph der beſagten Art, hat es geſchrieben, und es ſich ſo aͤhnlich gemacht, daß er ihm etwas Geiſt und Leben abgegeben. Er hat es angehau- chet! — wie Gott den bis auf die Seele fer- tigen Adam. Der Mann iſt im Buch ge- troffen! — — — Oft hab’ ich gehoͤrt: wenn man den Mann ſieht, und ſein Buch, ſolte man ſie wohl fuͤr Vater und Sohn hal- ten? Ja — und wenn ihr ſie nicht dafuͤr haltet, liegt es an euch. Wie der Autor, ſo das Buch, per omnia ſæcula ſæculorum. Jeder Phyſionomiſt muß den Autor aus dem Buch abziehen, und zum reden treffen. Das Buch hat Hand und Fuß, der Mann hat Hand und Fuß, heißt ein Mann mit Winkelmaaß und Waage, der alles mißt und paßt, und ein Buch von der nemlichen richtigen abgemeſſenen Weiſe, wo weder Man- Zweiter Th. P

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/233>, abgerufen am 27.11.2024.