Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

es sich freylich wol zu, daß dem Geistlichen,
dem Besucher, etwas in die Hand gedrückt
wird. -- Unser Todte! das wett' ich, nicht
also! --

Wohl dem! rief unser Pfarrer aus, wohl
dem, der so lang er mit seinem Bruder auf
dem Weg' ist, das heißt: so lange sie beyde
die Straße dieses Lebens gehen, ihm ersetzt,
was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den
er beleidiget; den in integrum restituirt, den
er beschädiget hat. Wohl dem! der alles
mit warmer Hand abträgt; denn wie leicht
kann der Gläubiger sterben? und die Erse-
tzung ist alsdenn nicht möglich; wie leicht
kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt
werden, und wie leicht kann es kommen,
daß sie aufhören, einen und denselben Weg zu
wandeln! Weh' alsdenn dem Schuld-
ner! Alles ist aus! -- Er kann nicht mehr
bezahlen, so gern er auch wolte. Seine
Münze galt nur in dieser Welt, mit einem
ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit über.
Diese Stell überwog die ganze Predigt. Wer
sie lieset, der merke drauf; so lang er eine
warme Hand hat, so lang er noch auf dem
Wege mit seinem Gläubiger ist, und mit
ihm lebensläuft! --

Es

es ſich freylich wol zu, daß dem Geiſtlichen,
dem Beſucher, etwas in die Hand gedruͤckt
wird. — Unſer Todte! das wett’ ich, nicht
alſo! —

Wohl dem! rief unſer Pfarrer aus, wohl
dem, der ſo lang er mit ſeinem Bruder auf
dem Weg’ iſt, das heißt: ſo lange ſie beyde
die Straße dieſes Lebens gehen, ihm erſetzt,
was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den
er beleidiget; den in integrum reſtituirt, den
er beſchaͤdiget hat. Wohl dem! der alles
mit warmer Hand abtraͤgt; denn wie leicht
kann der Glaͤubiger ſterben? und die Erſe-
tzung iſt alsdenn nicht moͤglich; wie leicht
kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt
werden, und wie leicht kann es kommen,
daß ſie aufhoͤren, einen und denſelben Weg zu
wandeln! Weh’ alsdenn dem Schuld-
ner! Alles iſt aus! — Er kann nicht mehr
bezahlen, ſo gern er auch wolte. Seine
Muͤnze galt nur in dieſer Welt, mit einem
ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit uͤber.
Dieſe Stell uͤberwog die ganze Predigt. Wer
ſie lieſet, der merke drauf; ſo lang er eine
warme Hand hat, ſo lang er noch auf dem
Wege mit ſeinem Glaͤubiger iſt, und mit
ihm lebenslaͤuft! —

Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="190"/>
es &#x017F;ich freylich wol zu, daß dem Gei&#x017F;tlichen,<lb/>
dem Be&#x017F;ucher, etwas in die Hand gedru&#x0364;ckt<lb/>
wird. &#x2014; Un&#x017F;er Todte! das wett&#x2019; ich, nicht<lb/>
al&#x017F;o! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wohl dem! rief un&#x017F;er Pfarrer aus, wohl<lb/>
dem, der &#x017F;o lang er mit &#x017F;einem Bruder auf<lb/>
dem Weg&#x2019; i&#x017F;t, das heißt: &#x017F;o lange &#x017F;ie beyde<lb/>
die Straße die&#x017F;es Lebens gehen, ihm er&#x017F;etzt,<lb/>
was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den<lb/>
er beleidiget; den in <hi rendition="#aq">integrum</hi> re&#x017F;tituirt, den<lb/>
er be&#x017F;cha&#x0364;diget hat. Wohl dem! der alles<lb/>
mit warmer Hand abtra&#x0364;gt; denn wie leicht<lb/>
kann der Gla&#x0364;ubiger &#x017F;terben? und die Er&#x017F;e-<lb/>
tzung i&#x017F;t alsdenn nicht mo&#x0364;glich; wie leicht<lb/>
kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt<lb/>
werden, und wie leicht kann es kommen,<lb/>
daß &#x017F;ie aufho&#x0364;ren, einen und den&#x017F;elben Weg zu<lb/>
wandeln! Weh&#x2019; alsdenn dem Schuld-<lb/>
ner! Alles i&#x017F;t aus! &#x2014; Er kann nicht mehr<lb/>
bezahlen, &#x017F;o gern er auch wolte. Seine<lb/>
Mu&#x0364;nze galt nur in die&#x017F;er Welt, mit einem<lb/>
ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit u&#x0364;ber.<lb/>
Die&#x017F;e Stell u&#x0364;berwog die ganze Predigt. Wer<lb/>
&#x017F;ie lie&#x017F;et, der merke drauf; &#x017F;o lang er eine<lb/><hi rendition="#fr">warme Hand</hi> hat, &#x017F;o lang er noch auf dem<lb/>
Wege mit &#x017F;einem Gla&#x0364;ubiger i&#x017F;t, und mit<lb/>
ihm lebensla&#x0364;uft! &#x2014;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0198] es ſich freylich wol zu, daß dem Geiſtlichen, dem Beſucher, etwas in die Hand gedruͤckt wird. — Unſer Todte! das wett’ ich, nicht alſo! — Wohl dem! rief unſer Pfarrer aus, wohl dem, der ſo lang er mit ſeinem Bruder auf dem Weg’ iſt, das heißt: ſo lange ſie beyde die Straße dieſes Lebens gehen, ihm erſetzt, was er ihm unrecht gethan, den abbittet, den er beleidiget; den in integrum reſtituirt, den er beſchaͤdiget hat. Wohl dem! der alles mit warmer Hand abtraͤgt; denn wie leicht kann der Glaͤubiger ſterben? und die Erſe- tzung iſt alsdenn nicht moͤglich; wie leicht kann der Lebenslauf des Schuldners gehemmt werden, und wie leicht kann es kommen, daß ſie aufhoͤren, einen und denſelben Weg zu wandeln! Weh’ alsdenn dem Schuld- ner! Alles iſt aus! — Er kann nicht mehr bezahlen, ſo gern er auch wolte. Seine Muͤnze galt nur in dieſer Welt, mit einem ewigen Vorwurf geht er in die Ewigkeit uͤber. Dieſe Stell uͤberwog die ganze Predigt. Wer ſie lieſet, der merke drauf; ſo lang er eine warme Hand hat, ſo lang er noch auf dem Wege mit ſeinem Glaͤubiger iſt, und mit ihm lebenslaͤuft! — Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/198
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/198>, abgerufen am 23.11.2024.