Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

worden, stand da zum glänzenden Beweise,
daß Plan und Ausführung, Verlobung und
Hochzeit, zweyerley sind. Diese Betrach-
tungen führten mich zu Minen, und was
führte mich nicht alles zu ihr?

Meine Mutter würd' es mir sehr ver-
dacht haben, daß das anschauende Erkennt-
niß meinen Begrif von Mitau so sehr herab-
gestimmet. Wohnet denn, würd' ohn' In-
tegralrechnung ihre Bemerkung gewesen seyn,
wohnet denn nicht der Herr Superinten-
dent hier?

Mein Reisegefehrt war im Mittelpunkt'
und konnte nicht aufhören zu sehen. Mie-
tau schien ihm

terrarum Dea gentiumque Roma,
cui par est nihil & nihil secundum.

Die Hauptstadt der Welt! -- obgleich
es nicht Johann war. Die Residenz ist für
jeden Edelmann das Treibhaus im kalten Cli-
ma. So wie's Arzeneyen giebt, die nur
durch das heilige himmlische Feuer der Son-
ne gekocht, gebleicht und getrocknet werden
können; so ist auch die Residenz die Insola-
tion in Absicht des Edelmannes. Mein Rei-
segefehrt empfand alle Nepos wollas, die er

in
L 2

worden, ſtand da zum glaͤnzenden Beweiſe,
daß Plan und Ausfuͤhrung, Verlobung und
Hochzeit, zweyerley ſind. Dieſe Betrach-
tungen fuͤhrten mich zu Minen, und was
fuͤhrte mich nicht alles zu ihr?

Meine Mutter wuͤrd’ es mir ſehr ver-
dacht haben, daß das anſchauende Erkennt-
niß meinen Begrif von Mitau ſo ſehr herab-
geſtimmet. Wohnet denn, wuͤrd’ ohn’ In-
tegralrechnung ihre Bemerkung geweſen ſeyn,
wohnet denn nicht der Herr Superinten-
dent hier?

Mein Reiſegefehrt war im Mittelpunkt’
und konnte nicht aufhoͤren zu ſehen. Mie-
tau ſchien ihm

terrarum Dea gentiumque Roma,
cui par eſt nihil & nihil ſecundum.

Die Hauptſtadt der Welt! — obgleich
es nicht Johann war. Die Reſidenz iſt fuͤr
jeden Edelmann das Treibhaus im kalten Cli-
ma. So wie’s Arzeneyen giebt, die nur
durch das heilige himmliſche Feuer der Son-
ne gekocht, gebleicht und getrocknet werden
koͤnnen; ſo iſt auch die Reſidenz die Inſola-
tion in Abſicht des Edelmannes. Mein Rei-
ſegefehrt empfand alle Nepos wollas, die er

in
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0171" n="163"/>
worden, &#x017F;tand da zum gla&#x0364;nzenden Bewei&#x017F;e,<lb/>
daß Plan und Ausfu&#x0364;hrung, Verlobung und<lb/>
Hochzeit, zweyerley &#x017F;ind. Die&#x017F;e Betrach-<lb/>
tungen fu&#x0364;hrten mich zu Minen, und was<lb/>
fu&#x0364;hrte mich nicht alles zu ihr?</p><lb/>
          <p>Meine Mutter wu&#x0364;rd&#x2019; es mir &#x017F;ehr ver-<lb/>
dacht haben, daß das an&#x017F;chauende Erkennt-<lb/>
niß meinen Begrif von Mitau &#x017F;o &#x017F;ehr herab-<lb/>
ge&#x017F;timmet. Wohnet denn, wu&#x0364;rd&#x2019; ohn&#x2019; In-<lb/>
tegralrechnung ihre Bemerkung gewe&#x017F;en &#x017F;eyn,<lb/>
wohnet denn nicht der Herr Superinten-<lb/>
dent hier?</p><lb/>
          <p>Mein Rei&#x017F;egefehrt war im Mittelpunkt&#x2019;<lb/>
und konnte nicht aufho&#x0364;ren zu &#x017F;ehen. Mie-<lb/>
tau &#x017F;chien ihm</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#aq">terrarum Dea gentiumque Roma,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#aq">cui par e&#x017F;t nihil &amp; nihil &#x017F;ecundum.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <p>Die Haupt&#x017F;tadt der Welt! &#x2014; obgleich<lb/>
es nicht Johann war. Die Re&#x017F;idenz i&#x017F;t fu&#x0364;r<lb/>
jeden Edelmann das Treibhaus im kalten Cli-<lb/>
ma. So wie&#x2019;s Arzeneyen giebt, die nur<lb/>
durch das heilige himmli&#x017F;che Feuer der Son-<lb/>
ne gekocht, gebleicht und getrocknet werden<lb/>
ko&#x0364;nnen; &#x017F;o i&#x017F;t auch die Re&#x017F;idenz die In&#x017F;ola-<lb/>
tion in Ab&#x017F;icht des Edelmannes. Mein Rei-<lb/>
&#x017F;egefehrt empfand alle Nepos wollas, die er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0171] worden, ſtand da zum glaͤnzenden Beweiſe, daß Plan und Ausfuͤhrung, Verlobung und Hochzeit, zweyerley ſind. Dieſe Betrach- tungen fuͤhrten mich zu Minen, und was fuͤhrte mich nicht alles zu ihr? Meine Mutter wuͤrd’ es mir ſehr ver- dacht haben, daß das anſchauende Erkennt- niß meinen Begrif von Mitau ſo ſehr herab- geſtimmet. Wohnet denn, wuͤrd’ ohn’ In- tegralrechnung ihre Bemerkung geweſen ſeyn, wohnet denn nicht der Herr Superinten- dent hier? Mein Reiſegefehrt war im Mittelpunkt’ und konnte nicht aufhoͤren zu ſehen. Mie- tau ſchien ihm terrarum Dea gentiumque Roma, cui par eſt nihil & nihil ſecundum. Die Hauptſtadt der Welt! — obgleich es nicht Johann war. Die Reſidenz iſt fuͤr jeden Edelmann das Treibhaus im kalten Cli- ma. So wie’s Arzeneyen giebt, die nur durch das heilige himmliſche Feuer der Son- ne gekocht, gebleicht und getrocknet werden koͤnnen; ſo iſt auch die Reſidenz die Inſola- tion in Abſicht des Edelmannes. Mein Rei- ſegefehrt empfand alle Nepos wollas, die er in L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/171
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/171>, abgerufen am 26.11.2024.