Vater.Ich glaube keinem Gereisten, wenn er von den Menschen spricht. Unsere meisten Reisebeschreiber zeichnen das Zimmer, wo sie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder seinen Wildfang vom Sohn. Eh'r wolt ich aus dem Hervorgeruch der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, schlie- ßen, was für Krankheiten in Stadt und Land gang und gäbe sind. Aus einem Wirthshause geht der Weg in die Welt; allein nicht in die Nation. Reisende, selbst Entdecker neuer Völcker, solten nur erzählen, was sie gesehen und gehört, was ihnen vor- gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und Nachklang; denn was thut man nicht, einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb- lingsgedancken zu gefallen. Dem Beschrei- ber sind keine Glocken zu gestatten; er muß nie lauten laßen. --
Ich.So wärs wol am besten, daß Je- mand aus dem Volcke selbst das Volk be- schriebe.
Vater.Ja, wenn er gereiset ist, ohne an eine Reisebeschreibung fremder Länder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn -- und noch viele Wenns --
Herr
Vater.Ich glaube keinem Gereiſten, wenn er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie- ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem Wirthshauſe geht der Weg in die Welt; allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen, was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor- gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und Nachklang; denn was thut man nicht, einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb- lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei- ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß nie lauten laßen. —
Ich.So waͤrs wol am beſten, daß Je- mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be- ſchriebe.
Vater.Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn — und noch viele Wenns —
Herr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0412"n="400"/><sp><speaker><hirendition="#fr">Vater.</hi></speaker><p>Ich glaube keinem Gereiſten, wenn<lb/>
er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten<lb/>
Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo<lb/>ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter,<lb/>
den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom<lb/>
Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch<lb/>
der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie-<lb/>
ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und<lb/>
Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem<lb/>
Wirthshauſe geht der Weg in die Welt;<lb/>
allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt<lb/>
Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen,<lb/>
was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor-<lb/>
gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und<lb/>
Nachklang; denn was thut man nicht, einem<lb/>
guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb-<lb/>
lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei-<lb/>
ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß<lb/>
nie lauten laßen. —</p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#fr">Ich.</hi></speaker><p>So waͤrs wol am beſten, daß Je-<lb/>
mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be-<lb/>ſchriebe.</p></sp><lb/><sp><speaker><hirendition="#fr">Vater.</hi></speaker><p>Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne<lb/>
an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder<lb/>
gedacht zu haben, wenn er kein Amt und<lb/>
doch zu leben hat, wenn — und noch viele<lb/>
Wenns —</p></sp><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Herr</hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[400/0412]
Vater. Ich glaube keinem Gereiſten, wenn
er von den Menſchen ſpricht. Unſere meiſten
Reiſebeſchreiber zeichnen das Zimmer, wo
ſie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter,
den Herrn Wirth oder ſeinen Wildfang vom
Sohn. Eh’r wolt ich aus dem Hervorgeruch
der Apothecken, wenn ich vorbey gehe, ſchlie-
ßen, was fuͤr Krankheiten in Stadt und
Land gang und gaͤbe ſind. Aus einem
Wirthshauſe geht der Weg in die Welt;
allein nicht in die Nation. Reiſende, ſelbſt
Entdecker neuer Voͤlcker, ſolten nur erzaͤhlen,
was ſie geſehen und gehoͤrt, was ihnen vor-
gekommen und vorgefallen, ohne Vor- und
Nachklang; denn was thut man nicht, einem
guten Einfall, einer Wendung, einem Lieb-
lingsgedancken zu gefallen. Dem Beſchrei-
ber ſind keine Glocken zu geſtatten; er muß
nie lauten laßen. —
Ich. So waͤrs wol am beſten, daß Je-
mand aus dem Volcke ſelbſt das Volk be-
ſchriebe.
Vater. Ja, wenn er gereiſet iſt, ohne
an eine Reiſebeſchreibung fremder Laͤnder
gedacht zu haben, wenn er kein Amt und
doch zu leben hat, wenn — und noch viele
Wenns —
Herr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/412>, abgerufen am 01.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.