Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Meine Predigt nannt' er eine Kirchen-
chrie ein Exercitium und sehr richtig --

Wer, pflegt' er zu sagen, sich ein Gebet
auswendig lernt, spottet Gott den Herrn.
Entweder muß man gar nicht auf der Can-
zel beten oder man bete nach der göttlichen
Vorschrifft "ihr solt nicht viel plappern"
Sonst war mein Vater der Meinung daß
junge Leute nicht eher die mindeste Ausarbei-
tung machen solten, als bis sich ihre Seele
entfalten könne. In jedem Menschen sagt'
er liegen Zurüstungen und Triebfedern zu al-
len Karacktern. Die erste Schrifft die ein
junger Mensch entwirfft muß der Kupferstich
seiner Seele seyn. Notabene der Kupfer-
stich -- Wer die Tropen und Figuren er-
fand, erfand Masken für Diebe, Verräther,
Mörder und Ehebrecher. Man schreibt sich
jetzo nicht aus wenn man schreibt sondern
man hat eine Vorschrifft -- Auf die erste
Predigt ist wenig von dem was ich gesagt ha-
be zu deuten. Schwerlich wenn sie auch
ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr
erhellen als ob der junge Mensch zum Gesetz
oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.

Meine Mutter hätte gern gesehen wenn
ich ein Paar Verse nach mütterlicher Weise

ein-

Meine Predigt nannt’ er eine Kirchen-
chrie ein Exercitium und ſehr richtig —

Wer, pflegt’ er zu ſagen, ſich ein Gebet
auswendig lernt, ſpottet Gott den Herrn.
Entweder muß man gar nicht auf der Can-
zel beten oder man bete nach der goͤttlichen
Vorſchrifft „ihr ſolt nicht viel plappern“
Sonſt war mein Vater der Meinung daß
junge Leute nicht eher die mindeſte Ausarbei-
tung machen ſolten, als bis ſich ihre Seele
entfalten koͤnne. In jedem Menſchen ſagt’
er liegen Zuruͤſtungen und Triebfedern zu al-
len Karacktern. Die erſte Schrifft die ein
junger Menſch entwirfft muß der Kupferſtich
ſeiner Seele ſeyn. Notabene der Kupfer-
ſtich — Wer die Tropen und Figuren er-
fand, erfand Masken fuͤr Diebe, Verraͤther,
Moͤrder und Ehebrecher. Man ſchreibt ſich
jetzo nicht aus wenn man ſchreibt ſondern
man hat eine Vorſchrifft — Auf die erſte
Predigt iſt wenig von dem was ich geſagt ha-
be zu deuten. Schwerlich wenn ſie auch
ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr
erhellen als ob der junge Menſch zum Geſetz
oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.

Meine Mutter haͤtte gern geſehen wenn
ich ein Paar Verſe nach muͤtterlicher Weiſe

ein-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0190" n="182"/>
        <p>Meine Predigt nannt&#x2019; er eine Kirchen-<lb/>
chrie ein Exercitium und &#x017F;ehr richtig &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wer, pflegt&#x2019; er zu &#x017F;agen, &#x017F;ich ein Gebet<lb/>
auswendig lernt, &#x017F;pottet Gott den Herrn.<lb/>
Entweder muß man gar nicht auf der Can-<lb/>
zel beten oder man bete nach der go&#x0364;ttlichen<lb/>
Vor&#x017F;chrifft &#x201E;ihr &#x017F;olt nicht viel plappern&#x201C;<lb/>
Son&#x017F;t war mein Vater der Meinung daß<lb/>
junge Leute nicht eher die minde&#x017F;te Ausarbei-<lb/>
tung machen &#x017F;olten, als bis &#x017F;ich ihre Seele<lb/>
entfalten ko&#x0364;nne. In jedem Men&#x017F;chen &#x017F;agt&#x2019;<lb/>
er liegen Zuru&#x0364;&#x017F;tungen und Triebfedern zu al-<lb/>
len Karacktern. Die er&#x017F;te Schrifft die ein<lb/>
junger Men&#x017F;ch entwirfft muß der Kupfer&#x017F;tich<lb/>
&#x017F;einer Seele &#x017F;eyn. Notabene der Kupfer-<lb/>
&#x017F;tich &#x2014; Wer die Tropen und Figuren er-<lb/>
fand, erfand Masken fu&#x0364;r Diebe, Verra&#x0364;ther,<lb/>
Mo&#x0364;rder und Ehebrecher. Man &#x017F;chreibt <hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi><lb/>
jetzo nicht aus wenn man &#x017F;chreibt &#x017F;ondern<lb/>
man hat eine Vor&#x017F;chrifft &#x2014; Auf die er&#x017F;te<lb/>
Predigt i&#x017F;t wenig von dem was ich ge&#x017F;agt ha-<lb/>
be zu deuten. Schwerlich wenn &#x017F;ie auch<lb/>
ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr<lb/>
erhellen als ob der junge Men&#x017F;ch zum Ge&#x017F;etz<lb/>
oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.</p><lb/>
        <p>Meine Mutter ha&#x0364;tte gern ge&#x017F;ehen wenn<lb/>
ich ein Paar Ver&#x017F;e nach mu&#x0364;tterlicher Wei&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ein-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0190] Meine Predigt nannt’ er eine Kirchen- chrie ein Exercitium und ſehr richtig — Wer, pflegt’ er zu ſagen, ſich ein Gebet auswendig lernt, ſpottet Gott den Herrn. Entweder muß man gar nicht auf der Can- zel beten oder man bete nach der goͤttlichen Vorſchrifft „ihr ſolt nicht viel plappern“ Sonſt war mein Vater der Meinung daß junge Leute nicht eher die mindeſte Ausarbei- tung machen ſolten, als bis ſich ihre Seele entfalten koͤnne. In jedem Menſchen ſagt’ er liegen Zuruͤſtungen und Triebfedern zu al- len Karacktern. Die erſte Schrifft die ein junger Menſch entwirfft muß der Kupferſtich ſeiner Seele ſeyn. Notabene der Kupfer- ſtich — Wer die Tropen und Figuren er- fand, erfand Masken fuͤr Diebe, Verraͤther, Moͤrder und Ehebrecher. Man ſchreibt ſich jetzo nicht aus wenn man ſchreibt ſondern man hat eine Vorſchrifft — Auf die erſte Predigt iſt wenig von dem was ich geſagt ha- be zu deuten. Schwerlich wenn ſie auch ohne Linial gemacht wird, kann draus mehr erhellen als ob der junge Menſch zum Geſetz oder zum Evangelienprediger gedeihen werde. Meine Mutter haͤtte gern geſehen wenn ich ein Paar Verſe nach muͤtterlicher Weiſe ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/190
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/190>, abgerufen am 25.11.2024.