die Nichtswürdige? Mir ins Gesicht die heilige Un¬ schuld spielen, nachdem sie mich betrogen? Hab' ich dir nicht bei deinem Leben gedroht, zu thun was ich sage und nicht was dir der Teufel einbläs't? Und nun kitzelt sie Habsucht und Kuppelgelüst, daß sie mir das Mädchen verderben will, und muß mit ihr unter die Leute, sie zu zeigen und auszubieten, ob sie nicht einem gefiele, der reicher ist als Bianchi der Bildhauer, der von seinem Schweiß lebt und Euch zu leben giebt? Fort! aus dem Haus, und das ohne Zögern und Winseln! Denn ich kenne dich und ich hätt' es wissen sollen, daß du kein Schutz bist und der Verrath in deiner vertrockneten Brust nistet mit allen Ränken der Hölle!
Die Alte hatte sich erhoben und stand lauernd mit erkünstelter Demuth einige Schritte von ihm beim Fenster. Ihr habt Recht, Sor Carlo, sagte sie, ich hätt' es nicht thun sollen. Aber mich jammerte der armen einsamen Creatur, wie sie von der Welt Sonn- und Werkeltag nichts zu sehn kriegt, als die Dächer gegenüber oder um Mitternacht, wenn Ihr einmal mit ihr ausgeht, dunkle Gassen und das bis¬ chen Sternenhimmel. Kind, sagt' ich, er ist so gut, er kann nicht böse werden, wenn du ihm heut Abend erzählst, daß du das Rennen mit angesehn hast. Sie wollte nicht, armes Ding; aber ich sah ihr's an, daß sie's gern hätte, und so redete ich ihr zu. Was ist's
die Nichtswürdige? Mir ins Geſicht die heilige Un¬ ſchuld ſpielen, nachdem ſie mich betrogen? Hab' ich dir nicht bei deinem Leben gedroht, zu thun was ich ſage und nicht was dir der Teufel einbläſ't? Und nun kitzelt ſie Habſucht und Kuppelgelüſt, daß ſie mir das Mädchen verderben will, und muß mit ihr unter die Leute, ſie zu zeigen und auszubieten, ob ſie nicht einem gefiele, der reicher iſt als Bianchi der Bildhauer, der von ſeinem Schweiß lebt und Euch zu leben giebt? Fort! aus dem Haus, und das ohne Zögern und Winſeln! Denn ich kenne dich und ich hätt' es wiſſen ſollen, daß du kein Schutz biſt und der Verrath in deiner vertrockneten Bruſt niſtet mit allen Ränken der Hölle!
Die Alte hatte ſich erhoben und ſtand lauernd mit erkünſtelter Demuth einige Schritte von ihm beim Fenſter. Ihr habt Recht, Sor Carlo, ſagte ſie, ich hätt' es nicht thun ſollen. Aber mich jammerte der armen einſamen Creatur, wie ſie von der Welt Sonn- und Werkeltag nichts zu ſehn kriegt, als die Dächer gegenüber oder um Mitternacht, wenn Ihr einmal mit ihr ausgeht, dunkle Gaſſen und das bis¬ chen Sternenhimmel. Kind, ſagt' ich, er iſt ſo gut, er kann nicht böſe werden, wenn du ihm heut Abend erzählſt, daß du das Rennen mit angeſehn haſt. Sie wollte nicht, armes Ding; aber ich ſah ihr's an, daß ſie's gern hätte, und ſo redete ich ihr zu. Was iſt's
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die Nichtswürdige? Mir ins Geſicht die heilige Un¬
ſchuld ſpielen, nachdem ſie mich betrogen? Hab' ich
dir nicht bei deinem Leben gedroht, zu thun was
ich ſage und nicht was dir der Teufel einbläſ't?
Und nun kitzelt ſie Habſucht und Kuppelgelüſt, daß
ſie mir das Mädchen verderben will, und muß mit
ihr unter die Leute, ſie zu zeigen und auszubieten,
ob ſie nicht einem gefiele, der reicher iſt als Bianchi
der Bildhauer, der von ſeinem Schweiß lebt und
Euch zu leben giebt? Fort! aus dem Haus, und das
ohne Zögern und Winſeln! Denn ich kenne dich und
ich hätt' es wiſſen ſollen, daß du kein Schutz biſt
und der Verrath in deiner vertrockneten Bruſt niſtet
mit allen Ränken der Hölle!
Die Alte hatte ſich erhoben und ſtand lauernd
mit erkünſtelter Demuth einige Schritte von ihm
beim Fenſter. Ihr habt Recht, Sor Carlo, ſagte ſie,
ich hätt' es nicht thun ſollen. Aber mich jammerte
der armen einſamen Creatur, wie ſie von der Welt
Sonn- und Werkeltag nichts zu ſehn kriegt, als die
Dächer gegenüber oder um Mitternacht, wenn Ihr
einmal mit ihr ausgeht, dunkle Gaſſen und das bis¬
chen Sternenhimmel. Kind, ſagt' ich, er iſt ſo gut,
er kann nicht böſe werden, wenn du ihm heut Abend
erzählſt, daß du das Rennen mit angeſehn haſt. Sie
wollte nicht, armes Ding; aber ich ſah ihr's an, daß
ſie's gern hätte, und ſo redete ich ihr zu. Was iſt's
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/206>, abgerufen am 25.07.2024.
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