in die Stadt. Es schien mir, als verdoppele Cate¬ rina ihre Schritte, nachdem die Alte sich einmal nach mir umgewendet. Endlich in Via Margutta traten sie in ein Haus. Ich wagte nicht zu klopfen, stand dort eine halbe Stunde wie angewurzelt und sah die Vorhänge wehen, aber keine Gestalt. Nur die wider¬ liche Fratze der Alten erschien einmal am Fenster. Sie sah mich nicht, da ich mich im Schatten der Häuser barg, und so riß ich mich endlich hinweg und hier bin ich, wenn es hier sein heißt, daß mir der Bo¬ den unter den Sohlen brennt und mein Sinn wie verriegelt ist, eines andern Menschen Gegenwart wirk¬ lich zu empfinden.
Er warf sich auf einen Stuhl; er beachtete es nicht, daß Bianchi noch immer in der Thür stand, nicht, daß er keinen Laut von sich gab. Er sah vor sich hin. Heute zuerst, fing er wieder an, nach schweren Wochen des Druckes und Kleinmuthes einen vollen Zug Leben gesogen, eine Stunde genossen, die mich über mich selbst hinaushebt! Wer so immer hinschwimmen könnte mit vollen Segeln ins offne Meer hinaus! Aber an den Küsten hinkriechen im geflickten Boot, sich winden und krümmen, wie dem Ufer die Laune steht, um doch endlich an einem Kiesel zu scheitern -- erbärmliche Feigheit!
Mit diesen Worten schlug er die Augen auf und begegnete dem Relief ihm gegenüber. Der Abend
in die Stadt. Es ſchien mir, als verdoppele Cate¬ rina ihre Schritte, nachdem die Alte ſich einmal nach mir umgewendet. Endlich in Via Margutta traten ſie in ein Haus. Ich wagte nicht zu klopfen, ſtand dort eine halbe Stunde wie angewurzelt und ſah die Vorhänge wehen, aber keine Geſtalt. Nur die wider¬ liche Fratze der Alten erſchien einmal am Fenſter. Sie ſah mich nicht, da ich mich im Schatten der Häuſer barg, und ſo riß ich mich endlich hinweg und hier bin ich, wenn es hier ſein heißt, daß mir der Bo¬ den unter den Sohlen brennt und mein Sinn wie verriegelt iſt, eines andern Menſchen Gegenwart wirk¬ lich zu empfinden.
Er warf ſich auf einen Stuhl; er beachtete es nicht, daß Bianchi noch immer in der Thür ſtand, nicht, daß er keinen Laut von ſich gab. Er ſah vor ſich hin. Heute zuerſt, fing er wieder an, nach ſchweren Wochen des Druckes und Kleinmuthes einen vollen Zug Leben geſogen, eine Stunde genoſſen, die mich über mich ſelbſt hinaushebt! Wer ſo immer hinſchwimmen könnte mit vollen Segeln ins offne Meer hinaus! Aber an den Küſten hinkriechen im geflickten Boot, ſich winden und krümmen, wie dem Ufer die Laune ſteht, um doch endlich an einem Kieſel zu ſcheitern — erbärmliche Feigheit!
Mit dieſen Worten ſchlug er die Augen auf und begegnete dem Relief ihm gegenüber. Der Abend
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[189/0201]
in die Stadt. Es ſchien mir, als verdoppele Cate¬
rina ihre Schritte, nachdem die Alte ſich einmal nach
mir umgewendet. Endlich in Via Margutta traten
ſie in ein Haus. Ich wagte nicht zu klopfen, ſtand
dort eine halbe Stunde wie angewurzelt und ſah die
Vorhänge wehen, aber keine Geſtalt. Nur die wider¬
liche Fratze der Alten erſchien einmal am Fenſter. Sie
ſah mich nicht, da ich mich im Schatten der Häuſer
barg, und ſo riß ich mich endlich hinweg und hier
bin ich, wenn es hier ſein heißt, daß mir der Bo¬
den unter den Sohlen brennt und mein Sinn wie
verriegelt iſt, eines andern Menſchen Gegenwart wirk¬
lich zu empfinden.
Er warf ſich auf einen Stuhl; er beachtete es
nicht, daß Bianchi noch immer in der Thür ſtand,
nicht, daß er keinen Laut von ſich gab. Er ſah vor
ſich hin. Heute zuerſt, fing er wieder an, nach
ſchweren Wochen des Druckes und Kleinmuthes einen
vollen Zug Leben geſogen, eine Stunde genoſſen, die
mich über mich ſelbſt hinaushebt! Wer ſo immer
hinſchwimmen könnte mit vollen Segeln ins offne
Meer hinaus! Aber an den Küſten hinkriechen im
geflickten Boot, ſich winden und krümmen, wie dem
Ufer die Laune ſteht, um doch endlich an einem Kieſel
zu ſcheitern — erbärmliche Feigheit!
Mit dieſen Worten ſchlug er die Augen auf und
begegnete dem Relief ihm gegenüber. Der Abend
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/201>, abgerufen am 25.07.2024.
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