aus ihm herauszulocken, wie er überhaupt Gesprächen über persönliche Verhältnisse und innere Erlebnisse auswich. Gerade dies unruhige Gebahren fesselte ihn täglich mehr an Theodor. Er selbst war seit der Krankheit zahmer und freudiger in allem Thun und Reden. Wenn er Theodors Klopfen vernahm, deckte er ein Tuch über seinen großen Entwurf und öffnete hastig. Er war noch immer sparsam mit den gering¬ sten Liebesbezeigungen. Aber sein Gesicht konnte nicht verläugnen, daß die Gegenwart seines Freundes ihm mehr als Alles war. Er saß dann bei seinen Mu¬ scheln am offnen Fenster, das Gesicht kaum einmal zu Theodor gekehrt, und arbeitete rüstig, während sie sprachen oder ein Buch Beide erquickte. Er hatte durch Theodors Vermittlung Käufer für seine Arbei¬ ten gefunden, die ihm das Doppelte zahlten was der Händler bisher gegeben; doch war seine neue Woh¬ nung in nichts reicher ausgestattet, als die frühere. Freilich vergoldete die Sonne die nackte Wand, an der das Rundbild der Meduse hing und vor dem Fenster lag die entzückende Ferne. -- --
Eines Abends, im heißen Mai, als es draußen am Tiberufer einsam war und die Mücken überm Ge¬ sträuch ungestört spielten, klang der Klopfer an Bian¬ chi's Thür rascher und lauter als sonst. Er stand von der Arbeit auf, vor der er sinnend gesessen hatte, und deckte nicht wie sonst das Tuch darüber. Er
aus ihm herauszulocken, wie er überhaupt Geſprächen über perſönliche Verhältniſſe und innere Erlebniſſe auswich. Gerade dies unruhige Gebahren feſſelte ihn täglich mehr an Theodor. Er ſelbſt war ſeit der Krankheit zahmer und freudiger in allem Thun und Reden. Wenn er Theodors Klopfen vernahm, deckte er ein Tuch über ſeinen großen Entwurf und öffnete haſtig. Er war noch immer ſparſam mit den gering¬ ſten Liebesbezeigungen. Aber ſein Geſicht konnte nicht verläugnen, daß die Gegenwart ſeines Freundes ihm mehr als Alles war. Er ſaß dann bei ſeinen Mu¬ ſcheln am offnen Fenſter, das Geſicht kaum einmal zu Theodor gekehrt, und arbeitete rüſtig, während ſie ſprachen oder ein Buch Beide erquickte. Er hatte durch Theodors Vermittlung Käufer für ſeine Arbei¬ ten gefunden, die ihm das Doppelte zahlten was der Händler bisher gegeben; doch war ſeine neue Woh¬ nung in nichts reicher ausgeſtattet, als die frühere. Freilich vergoldete die Sonne die nackte Wand, an der das Rundbild der Meduſe hing und vor dem Fenſter lag die entzückende Ferne. — —
Eines Abends, im heißen Mai, als es draußen am Tiberufer einſam war und die Mücken überm Ge¬ ſträuch ungeſtört ſpielten, klang der Klopfer an Bian¬ chi's Thür raſcher und lauter als ſonſt. Er ſtand von der Arbeit auf, vor der er ſinnend geſeſſen hatte, und deckte nicht wie ſonſt das Tuch darüber. Er
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0197"n="185"/>
aus ihm herauszulocken, wie er überhaupt Geſprächen<lb/>
über perſönliche Verhältniſſe und innere Erlebniſſe<lb/>
auswich. Gerade dies unruhige Gebahren feſſelte ihn<lb/>
täglich mehr an Theodor. Er ſelbſt war ſeit der<lb/>
Krankheit zahmer und freudiger in allem Thun und<lb/>
Reden. Wenn er Theodors Klopfen vernahm, deckte<lb/>
er ein Tuch über ſeinen großen Entwurf und öffnete<lb/>
haſtig. Er war noch immer ſparſam mit den gering¬<lb/>ſten Liebesbezeigungen. Aber ſein Geſicht konnte nicht<lb/>
verläugnen, daß die Gegenwart ſeines Freundes ihm<lb/>
mehr als Alles war. Er ſaß dann bei ſeinen Mu¬<lb/>ſcheln am offnen Fenſter, das Geſicht kaum einmal<lb/>
zu Theodor gekehrt, und arbeitete rüſtig, während ſie<lb/>ſprachen oder ein Buch Beide erquickte. Er hatte<lb/>
durch Theodors Vermittlung Käufer für ſeine Arbei¬<lb/>
ten gefunden, die ihm das Doppelte zahlten was der<lb/>
Händler bisher gegeben; doch war ſeine neue Woh¬<lb/>
nung in nichts reicher ausgeſtattet, als die frühere.<lb/>
Freilich vergoldete die Sonne die nackte Wand, an<lb/>
der das Rundbild der Meduſe hing und vor dem<lb/>
Fenſter lag die entzückende Ferne. ——</p><lb/><p>Eines Abends, im heißen Mai, als es draußen<lb/>
am Tiberufer einſam war und die Mücken überm Ge¬<lb/>ſträuch ungeſtört ſpielten, klang der Klopfer an Bian¬<lb/>
chi's Thür raſcher und lauter als ſonſt. Er ſtand<lb/>
von der Arbeit auf, vor der er ſinnend geſeſſen hatte,<lb/>
und deckte nicht wie ſonſt das Tuch darüber. Er<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0197]
aus ihm herauszulocken, wie er überhaupt Geſprächen
über perſönliche Verhältniſſe und innere Erlebniſſe
auswich. Gerade dies unruhige Gebahren feſſelte ihn
täglich mehr an Theodor. Er ſelbſt war ſeit der
Krankheit zahmer und freudiger in allem Thun und
Reden. Wenn er Theodors Klopfen vernahm, deckte
er ein Tuch über ſeinen großen Entwurf und öffnete
haſtig. Er war noch immer ſparſam mit den gering¬
ſten Liebesbezeigungen. Aber ſein Geſicht konnte nicht
verläugnen, daß die Gegenwart ſeines Freundes ihm
mehr als Alles war. Er ſaß dann bei ſeinen Mu¬
ſcheln am offnen Fenſter, das Geſicht kaum einmal
zu Theodor gekehrt, und arbeitete rüſtig, während ſie
ſprachen oder ein Buch Beide erquickte. Er hatte
durch Theodors Vermittlung Käufer für ſeine Arbei¬
ten gefunden, die ihm das Doppelte zahlten was der
Händler bisher gegeben; doch war ſeine neue Woh¬
nung in nichts reicher ausgeſtattet, als die frühere.
Freilich vergoldete die Sonne die nackte Wand, an
der das Rundbild der Meduſe hing und vor dem
Fenſter lag die entzückende Ferne. — —
Eines Abends, im heißen Mai, als es draußen
am Tiberufer einſam war und die Mücken überm Ge¬
ſträuch ungeſtört ſpielten, klang der Klopfer an Bian¬
chi's Thür raſcher und lauter als ſonſt. Er ſtand
von der Arbeit auf, vor der er ſinnend geſeſſen hatte,
und deckte nicht wie ſonſt das Tuch darüber. Er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/197>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.