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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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lässig und ist in der That nur aus der begrifflichen Vermen-
gung der Empfindungen mit ihren physikalischen Ursachen ent-
standen. Auch hat nicht Jeder, der das Weiß als eine gemischte
Empfindung bezeichnete, damit sagen wollen, daß hier wirklich
Empfindungen gemischt seien, sondern nur, daß man, um die
Empfindung des Weißen zu erzeugen, Licht von verschiedener
Wellenlänge mischen müsse. Diese aus der gleichzeitigen Ein-
wirkung mehrerer Strahlenarten erzeugte Empfindung kann sehr
wohl als eine einfache Resultante mehrfacher physikalischer Ur-
sachen angesehen werden.

Auch die Young-Helmholtz'sche Hypothese ließe sich
nur in diesem Sinne einigermaßen annehmbar finden. Denn wenn
man einem Unbefangenen, und hätte er auch z. B. als Maler einen
hochentwickelten Farbensinn, sagen wollte, Weiß sei eine zu-
sammengesetzte Empfindung, in welcher man zugleich Roth,
Grün und Violett und zwar alle drei gleich stark empfinde, so
würde er mit einem ungläubigen Kopfschütteln, oder wenn er
vor der Zuverlässigkeit der Wissenschaft keine besondere Hoch-
achtung fühlte, mit einem Lächeln antworten. Daß in einem
Dreiklange drei Töne von verschiedener Höhe enthalten sind,
hört Jeder, der auch nur einigermaßen musikalisch geübt ist,
aber aus einem und demselben Weiß das Roth, Grün und Violett
herauszuempfinden, ist beim besten Willen Niemand im Stande.

Für den, der ohne physikalische oder physiologische Vor-
aussetzungen an die Untersuchung seiner Gesichtsempfindungen
geht, ist Weiß eine Empfindung eigener Art, ebenso wie Schwarz,
Roth, Grün, Gelb und Blau. Es kann dem Weiß von der einen
oder andern, oder auch von mehreren der letztgenannten Empfin-
dungen etwas beigemischt sein, so daß es an dieselben mehr
oder minder deutlich erinnert; aber wenn wir uns diese beige-
mischten Spuren anderer Empfindungen wegdenken, so bleibt
eine Empfindung von ganz eigenartiger, reiner Qualität zurück,
welche durchaus den Eindruck des Einfachen macht und welche
als etwas Zusammengesetztes aufzufassen der Unbefangene gar
keine Veranlassung findet. Ganz dasselbe gilt aber auch von der
Empfindung des Schwarzen.

Da sich der Physiolog alle Empfindungen als bedingt und
getragen von physischen Processen des Nervensystems denken

lässig und ist in der That nur aus der begrifflichen Vermen-
gung der Empfindungen mit ihren physikalischen Ursachen ent-
standen. Auch hat nicht Jeder, der das Weiß als eine gemischte
Empfindung bezeichnete, damit sagen wollen, daß hier wirklich
Empfindungen gemischt seien, sondern nur, daß man, um die
Empfindung des Weißen zu erzeugen, Licht von verschiedener
Wellenlänge mischen müsse. Diese aus der gleichzeitigen Ein-
wirkung mehrerer Strahlenarten erzeugte Empfindung kann sehr
wohl als eine einfache Resultante mehrfacher physikalischer Ur-
sachen angesehen werden.

Auch die Young-Helmholtz’sche Hypothese ließe sich
nur in diesem Sinne einigermaßen annehmbar finden. Denn wenn
man einem Unbefangenen, und hätte er auch z. B. als Maler einen
hochentwickelten Farbensinn, sagen wollte, Weiß sei eine zu-
sammengesetzte Empfindung, in welcher man zugleich Roth,
Grün und Violett und zwar alle drei gleich stark empfinde, so
würde er mit einem ungläubigen Kopfschütteln, oder wenn er
vor der Zuverlässigkeit der Wissenschaft keine besondere Hoch-
achtung fühlte, mit einem Lächeln antworten. Daß in einem
Dreiklange drei Töne von verschiedener Höhe enthalten sind,
hört Jeder, der auch nur einigermaßen musikalisch geübt ist,
aber aus einem und demselben Weiß das Roth, Grün und Violett
herauszuempfinden, ist beim besten Willen Niemand im Stande.

Für den, der ohne physikalische oder physiologische Vor-
aussetzungen an die Untersuchung seiner Gesichtsempfindungen
geht, ist Weiß eine Empfindung eigener Art, ebenso wie Schwarz,
Roth, Grün, Gelb und Blau. Es kann dem Weiß von der einen
oder andern, oder auch von mehreren der letztgenannten Empfin-
dungen etwas beigemischt sein, so daß es an dieselben mehr
oder minder deutlich erinnert; aber wenn wir uns diese beige-
mischten Spuren anderer Empfindungen wegdenken, so bleibt
eine Empfindung von ganz eigenartiger, reiner Qualität zurück,
welche durchaus den Eindruck des Einfachen macht und welche
als etwas Zusammengesetztes aufzufassen der Unbefangene gar
keine Veranlassung findet. Ganz dasselbe gilt aber auch von der
Empfindung des Schwarzen.

Da sich der Physiolog alle Empfindungen als bedingt und
getragen von physischen Processen des Nervensystems denken

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[71/0079] lässig und ist in der That nur aus der begrifflichen Vermen- gung der Empfindungen mit ihren physikalischen Ursachen ent- standen. Auch hat nicht Jeder, der das Weiß als eine gemischte Empfindung bezeichnete, damit sagen wollen, daß hier wirklich Empfindungen gemischt seien, sondern nur, daß man, um die Empfindung des Weißen zu erzeugen, Licht von verschiedener Wellenlänge mischen müsse. Diese aus der gleichzeitigen Ein- wirkung mehrerer Strahlenarten erzeugte Empfindung kann sehr wohl als eine einfache Resultante mehrfacher physikalischer Ur- sachen angesehen werden. Auch die Young-Helmholtz’sche Hypothese ließe sich nur in diesem Sinne einigermaßen annehmbar finden. Denn wenn man einem Unbefangenen, und hätte er auch z. B. als Maler einen hochentwickelten Farbensinn, sagen wollte, Weiß sei eine zu- sammengesetzte Empfindung, in welcher man zugleich Roth, Grün und Violett und zwar alle drei gleich stark empfinde, so würde er mit einem ungläubigen Kopfschütteln, oder wenn er vor der Zuverlässigkeit der Wissenschaft keine besondere Hoch- achtung fühlte, mit einem Lächeln antworten. Daß in einem Dreiklange drei Töne von verschiedener Höhe enthalten sind, hört Jeder, der auch nur einigermaßen musikalisch geübt ist, aber aus einem und demselben Weiß das Roth, Grün und Violett herauszuempfinden, ist beim besten Willen Niemand im Stande. Für den, der ohne physikalische oder physiologische Vor- aussetzungen an die Untersuchung seiner Gesichtsempfindungen geht, ist Weiß eine Empfindung eigener Art, ebenso wie Schwarz, Roth, Grün, Gelb und Blau. Es kann dem Weiß von der einen oder andern, oder auch von mehreren der letztgenannten Empfin- dungen etwas beigemischt sein, so daß es an dieselben mehr oder minder deutlich erinnert; aber wenn wir uns diese beige- mischten Spuren anderer Empfindungen wegdenken, so bleibt eine Empfindung von ganz eigenartiger, reiner Qualität zurück, welche durchaus den Eindruck des Einfachen macht und welche als etwas Zusammengesetztes aufzufassen der Unbefangene gar keine Veranlassung findet. Ganz dasselbe gilt aber auch von der Empfindung des Schwarzen. Da sich der Physiolog alle Empfindungen als bedingt und getragen von physischen Processen des Nervensystems denken

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/79>, abgerufen am 03.05.2024.