Die Augen betrachte ich hier nur tastbar als Gläser der Seele und Brunnen des Lichts und Lebens. Sie liegen zwischen Büschen eingefaßt und geschlossen: und eben das blinde Gefühl ent- deckts schon, daß ihre schöngeschliffene Form nebst Schnitt und Größe nicht gleichgültig sei. Eben so merkwürdig ists, wie sich unten der Aug- knoche starr bäume oder sanft verliere? und ob die Schläfen eingefallene Grabhölen oder zarte Ruhestäten sind, auf denen der Finger des Bluts und Lebens schlage? Ueberhaupt ist die Gegend, wie Augenbrane, Nase und Auge sich verhält, die Gegend des Winks der Seele in unserm Gesicht, d. i. des Willens und prakti- schen Lebens.
Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des Gehörs hat die Natur Seitwärts gesetzt und halb verborgen; der Mensch sollte nicht mit dem Antlitz für andre, sondern mit dem Ohre für sich hören. Auch blieb dieser Sinn, so wohlförmig er da steht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung und Tiefe ist seine Zierde; weh ihm, dem große Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab- hangen, oder weise Midasbrabevmen zu beiden Seiten gethürmt sind: der muß wohl hören und urtheilen, denn seine Ohren sind groß. -- Ue- brigens überlasse ichs den Naturkundigen, ob dieser Sinn durchs Anpressen und Nichtüben
nicht
Die Augen betrachte ich hier nur taſtbar als Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent- deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei. Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug- knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich verhaͤlt, die Gegend des Winks der Seele in unſerm Geſicht, d. i. des Willens und prakti- ſchen Lebens.
Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des Gehoͤrs hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig er da ſteht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab- hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden Seiten gethuͤrmt ſind: der muß wohl hoͤren und urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. — Ue- brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤben
nicht
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0083"n="80"/><p>Die <hirendition="#fr">Augen</hi> betrachte ich hier nur taſtbar als<lb/>
Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und<lb/>
Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt<lb/>
und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent-<lb/>
deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form<lb/>
nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei.<lb/>
Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug-<lb/>
knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob<lb/>
die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte<lb/>
Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des<lb/>
Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die<lb/>
Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich<lb/>
verhaͤlt, die Gegend des <hirendition="#fr">Winks</hi> der Seele in<lb/>
unſerm Geſicht, d. i. des <hirendition="#fr">Willens</hi> und <hirendition="#fr">prakti-<lb/>ſchen Lebens</hi>.</p><lb/><p>Den edlen, tiefen, verborgenen <hirendition="#fr">Sinn des<lb/>
Gehoͤrs</hi> hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und<lb/>
halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem<lb/>
Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich<lb/>
hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig<lb/>
er da ſteht, <hirendition="#fr">ungeziert</hi>: Zartheit, Ausarbeitung<lb/>
und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große<lb/>
Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab-<lb/>
hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden<lb/>
Seiten gethuͤrmt ſind: der muß <hirendition="#fr">wohl</hi> hoͤren und<lb/>
urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. — Ue-<lb/>
brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob<lb/>
dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤben<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nicht</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[80/0083]
Die Augen betrachte ich hier nur taſtbar als
Glaͤſer der Seele und Brunnen des Lichts und
Lebens. Sie liegen zwiſchen Buͤſchen eingefaßt
und geſchloſſen: und eben das blinde Gefuͤhl ent-
deckts ſchon, daß ihre ſchoͤngeſchliffene Form
nebſt Schnitt und Groͤße nicht gleichguͤltig ſei.
Eben ſo merkwuͤrdig iſts, wie ſich unten der Aug-
knoche ſtarr baͤume oder ſanft verliere? und ob
die Schlaͤfen eingefallene Grabhoͤlen oder zarte
Ruheſtaͤten ſind, auf denen der Finger des
Bluts und Lebens ſchlage? Ueberhaupt iſt die
Gegend, wie Augenbrane, Naſe und Auge ſich
verhaͤlt, die Gegend des Winks der Seele in
unſerm Geſicht, d. i. des Willens und prakti-
ſchen Lebens.
Den edlen, tiefen, verborgenen Sinn des
Gehoͤrs hat die Natur Seitwaͤrts geſetzt und
halb verborgen; der Menſch ſollte nicht mit dem
Antlitz fuͤr andre, ſondern mit dem Ohre fuͤr ſich
hoͤren. Auch blieb dieſer Sinn, ſo wohlfoͤrmig
er da ſteht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung
und Tiefe iſt ſeine Zierde; weh ihm, dem große
Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herab-
hangen, oder weiſe Midasbrabevmen zu beiden
Seiten gethuͤrmt ſind: der muß wohl hoͤren und
urtheilen, denn ſeine Ohren ſind groß. — Ue-
brigens uͤberlaſſe ichs den Naturkundigen, ob
dieſer Sinn durchs Anpreſſen und Nichtuͤben
nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/83>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.