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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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nicht so verlohren habe, wie das Gesicht durchs
Stubenblinzeln und Brillenbrauchen. Jst dies;
so kann, was schädlich ist, niemals schön seyn.

Endlich komme ich zum Untertheil des Ge-
sichts, den die Natur beim Männlichen Ge-
schlecht abermal mit einer Wolke umgab, und
mich dünkt nicht ohn Ursach. Hier sind die Zü-
ge zur Nothdurft, oder (welches mit jenem ei-
gentlich Eins ist) die Buchstaben der Sinnlich-
keit
im Gesicht, die bei dem Manne bedeckt seyn
sollten. Jedermann weiß, wie viel die Ober-
lippe
über Geschmack, Neigung, Lust- und
Liebesart eines Menschen entscheide: wie diese
der Stolz und Zorn krümme, die Feinheit spitze,
die Gutmüthigkeit ründe, die schlaffe Ueppigkeit
welke: wie an ihr mit unbeschreiblichem Zuge
Liebe und Verlangen, Kuß und Sehnen hange
und die Unterlippe sie nur schließe und trage:
ein Rosenküssen, auf dem die Krone der Herr-
schaft ruhet. Wenn man Etwas artikulirt nen-
nen kann, so ists die Oberlippe eines Menschen,
wo und wie sie den Mund schließt: und wenn
dieser von Ambrosia der Liebe und von Nektar
der Svade duftet, so ist jene gewiß das Züng-
lein der Waage, die ihm die Götterspeise zu-
wägt.

Außerordentlich bedeutend ists bei einem
Menschen, wie bei ihm die Zähne fallen und

wie
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nicht ſo verlohren habe, wie das Geſicht durchs
Stubenblinzeln und Brillenbrauchen. Jſt dies;
ſo kann, was ſchaͤdlich iſt, niemals ſchoͤn ſeyn.

Endlich komme ich zum Untertheil des Ge-
ſichts, den die Natur beim Maͤnnlichen Ge-
ſchlecht abermal mit einer Wolke umgab, und
mich duͤnkt nicht ohn Urſach. Hier ſind die Zuͤ-
ge zur Nothdurft, oder (welches mit jenem ei-
gentlich Eins iſt) die Buchſtaben der Sinnlich-
keit
im Geſicht, die bei dem Manne bedeckt ſeyn
ſollten. Jedermann weiß, wie viel die Ober-
lippe
uͤber Geſchmack, Neigung, Luſt- und
Liebesart eines Menſchen entſcheide: wie dieſe
der Stolz und Zorn kruͤmme, die Feinheit ſpitze,
die Gutmuͤthigkeit ruͤnde, die ſchlaffe Ueppigkeit
welke: wie an ihr mit unbeſchreiblichem Zuge
Liebe und Verlangen, Kuß und Sehnen hange
und die Unterlippe ſie nur ſchließe und trage:
ein Roſenkuͤſſen, auf dem die Krone der Herr-
ſchaft ruhet. Wenn man Etwas artikulirt nen-
nen kann, ſo iſts die Oberlippe eines Menſchen,
wo und wie ſie den Mund ſchließt: und wenn
dieſer von Ambroſia der Liebe und von Nektar
der Svade duftet, ſo iſt jene gewiß das Zuͤng-
lein der Waage, die ihm die Goͤtterſpeiſe zu-
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Außerordentlich bedeutend iſts bei einem
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[81/0084] nicht ſo verlohren habe, wie das Geſicht durchs Stubenblinzeln und Brillenbrauchen. Jſt dies; ſo kann, was ſchaͤdlich iſt, niemals ſchoͤn ſeyn. Endlich komme ich zum Untertheil des Ge- ſichts, den die Natur beim Maͤnnlichen Ge- ſchlecht abermal mit einer Wolke umgab, und mich duͤnkt nicht ohn Urſach. Hier ſind die Zuͤ- ge zur Nothdurft, oder (welches mit jenem ei- gentlich Eins iſt) die Buchſtaben der Sinnlich- keit im Geſicht, die bei dem Manne bedeckt ſeyn ſollten. Jedermann weiß, wie viel die Ober- lippe uͤber Geſchmack, Neigung, Luſt- und Liebesart eines Menſchen entſcheide: wie dieſe der Stolz und Zorn kruͤmme, die Feinheit ſpitze, die Gutmuͤthigkeit ruͤnde, die ſchlaffe Ueppigkeit welke: wie an ihr mit unbeſchreiblichem Zuge Liebe und Verlangen, Kuß und Sehnen hange und die Unterlippe ſie nur ſchließe und trage: ein Roſenkuͤſſen, auf dem die Krone der Herr- ſchaft ruhet. Wenn man Etwas artikulirt nen- nen kann, ſo iſts die Oberlippe eines Menſchen, wo und wie ſie den Mund ſchließt: und wenn dieſer von Ambroſia der Liebe und von Nektar der Svade duftet, ſo iſt jene gewiß das Zuͤng- lein der Waage, die ihm die Goͤtterſpeiſe zu- waͤgt. Außerordentlich bedeutend iſts bei einem Menſchen, wie bei ihm die Zaͤhne fallen und wie F

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/84>, abgerufen am 21.11.2024.