[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.der zerfleischte Jtys, ein Hippolytus auf Eu- Nur sieht jedweder, daß, was von der noch
der zerfleiſchte Jtys, ein Hippolytus auf Eu- Nur ſieht jedweder, daß, was von der noch
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="50"/> der zerfleiſchte <hi rendition="#fr">Jtys,</hi> ein <hi rendition="#fr">Hippolytus</hi> auf Eu-<lb/> ripides Buͤhne, <hi rendition="#fr">Medea</hi> in allen Verzerrungen<lb/> ihrer Wuth, <hi rendition="#fr">Philoktet</hi> in den aͤrgſten Zuckun-<lb/> gen ſeiner Krankheit, gar ein Sterbender im<lb/> Todeskampf, ein Verweſender im Kampf mit<lb/> den Wuͤrmern — grauſende Objecte fuͤr die<lb/> langſame fuͤhlende Hand, die ſtatt Jdeen Ab-<lb/> ſcheu und ſtatt Nachahmung deſſen, was iſt,<lb/> ſchreckliche Zerruͤttung deſſen, was nicht <hi rendition="#fr">mehr<lb/> iſt,</hi> wahrnimmt. Grauſame Kunſt! gebildete<lb/> Mißbildung! Wenn der heil. <hi rendition="#fr">Bartholomaͤus</hi><lb/> da halbgeſchunden, mit hangender Haut und zer-<lb/> fleiſchtem Koͤrper vor mich tritt, und mir zuruft:<lb/><hi rendition="#aq">non me Praxiteles, ſed Marcus finxit Agrati!</hi><lb/> und ich ſoll ſeine ſchrecklich natuͤrliche Unnatur<lb/> durchtaſten, durchfuͤhlen; — grauſamer Ge-<lb/> genſtand, ſchweig’ und weiche! Kein Praxiteles<lb/> bildete dich, denn er wuͤrde dich nie haben bilden<lb/><hi rendition="#fr">wollen.</hi> Dich, wie du biſt, aus dem Steine<lb/> hervorzufuͤhlen, hervorzuſchinden, welcher Grie-<lb/> che wuͤrde das vermocht haben? —</p><lb/> <p>Nur ſieht jedweder, daß, was von der<lb/> Bildhauerei gilt, nicht ſofort von Mahlerei und<lb/> von allen ſchoͤnen Kuͤnſten, ſelbſt wenns nur Gem-<lb/> men und Muͤnzen waͤren, ſtatt habe. Einige<lb/> neue eckle Herren haben uͤber dieſe ſo unterſchie-<lb/> dene Dinge aus einem Kopfe das Loos geſchuͤttet,<lb/> und zu Haͤßlichkeiten gezaͤhlt, was weder Gott<lb/> <fw place="bottom" type="catch">noch</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0053]
der zerfleiſchte Jtys, ein Hippolytus auf Eu-
ripides Buͤhne, Medea in allen Verzerrungen
ihrer Wuth, Philoktet in den aͤrgſten Zuckun-
gen ſeiner Krankheit, gar ein Sterbender im
Todeskampf, ein Verweſender im Kampf mit
den Wuͤrmern — grauſende Objecte fuͤr die
langſame fuͤhlende Hand, die ſtatt Jdeen Ab-
ſcheu und ſtatt Nachahmung deſſen, was iſt,
ſchreckliche Zerruͤttung deſſen, was nicht mehr
iſt, wahrnimmt. Grauſame Kunſt! gebildete
Mißbildung! Wenn der heil. Bartholomaͤus
da halbgeſchunden, mit hangender Haut und zer-
fleiſchtem Koͤrper vor mich tritt, und mir zuruft:
non me Praxiteles, ſed Marcus finxit Agrati!
und ich ſoll ſeine ſchrecklich natuͤrliche Unnatur
durchtaſten, durchfuͤhlen; — grauſamer Ge-
genſtand, ſchweig’ und weiche! Kein Praxiteles
bildete dich, denn er wuͤrde dich nie haben bilden
wollen. Dich, wie du biſt, aus dem Steine
hervorzufuͤhlen, hervorzuſchinden, welcher Grie-
che wuͤrde das vermocht haben? —
Nur ſieht jedweder, daß, was von der
Bildhauerei gilt, nicht ſofort von Mahlerei und
von allen ſchoͤnen Kuͤnſten, ſelbſt wenns nur Gem-
men und Muͤnzen waͤren, ſtatt habe. Einige
neue eckle Herren haben uͤber dieſe ſo unterſchie-
dene Dinge aus einem Kopfe das Loos geſchuͤttet,
und zu Haͤßlichkeiten gezaͤhlt, was weder Gott
noch
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