"hüllte er, was er Trotz dem Ueblichen enthül- "len konnte".
Wir betrachten hier nicht, was dies Nackte auf die Sitten der Griechen für Einfluß hatte, denn mit solchen Sprüngen von einem Felde ins andere kommt man nicht weit. Nichts ist feinerer Natur, als Zucht und das Wohlanstän- dige oder Aergerliche des Auges: es kommt da- bey so viel auf Himmelsstrich, Kleidungsart, Spiele, frühe Gewohnheit und Erziehung, auf den Stand, den beyde Geschlechter gegen ein- ander haben, insonderheit auf den Abgrund von Sonderbarkeiten an, den man Charakter der Nation nennt, daß die Untersuchung dessen ein eigenes Buch werden dürfte. Es konnte den Gothen, die aus Norden kamen, die würklich züchtiger und unter ihrem Himmelsstrich an dich- tere Kleider gewöhnt waren, bey denen das weib- liche Geschlecht zum männlichen überhaupt an- ders stand als bei den Griechen, und die überdem die Statuen unter einem verderbten Volke fan- den, das vielleicht seinen Untergang mit von ihnen herhatte; ich sage, diesen Gothen konnte (auch ihre neue Religion unbetrachtet,) der An- blick der Statuen mit Recht sehr widrig seyn, da- her die meisten auch so ein unglückliches Ende nah- men, ohne daß man deshalb von Gothen auf Griechen geradezu schließen müste. Wenn un-
ter
„huͤllte er, was er Trotz dem Ueblichen enthuͤl- „len konnte„.
Wir betrachten hier nicht, was dies Nackte auf die Sitten der Griechen fuͤr Einfluß hatte, denn mit ſolchen Spruͤngen von einem Felde ins andere kommt man nicht weit. Nichts iſt feinerer Natur, als Zucht und das Wohlanſtaͤn- dige oder Aergerliche des Auges: es kommt da- bey ſo viel auf Himmelsſtrich, Kleidungsart, Spiele, fruͤhe Gewohnheit und Erziehung, auf den Stand, den beyde Geſchlechter gegen ein- ander haben, inſonderheit auf den Abgrund von Sonderbarkeiten an, den man Charakter der Nation nennt, daß die Unterſuchung deſſen ein eigenes Buch werden duͤrfte. Es konnte den Gothen, die aus Norden kamen, die wuͤrklich zuͤchtiger und unter ihrem Himmelsſtrich an dich- tere Kleider gewoͤhnt waren, bey denen das weib- liche Geſchlecht zum maͤnnlichen uͤberhaupt an- ders ſtand als bei den Griechen, und die uͤberdem die Statuen unter einem verderbten Volke fan- den, das vielleicht ſeinen Untergang mit von ihnen herhatte; ich ſage, dieſen Gothen konnte (auch ihre neue Religion unbetrachtet,) der An- blick der Statuen mit Recht ſehr widrig ſeyn, da- her die meiſten auch ſo ein ungluͤckliches Ende nah- men, ohne daß man deshalb von Gothen auf Griechen geradezu ſchließen muͤſte. Wenn un-
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„huͤllte er, was er Trotz dem Ueblichen enthuͤl-
„len konnte„.
Wir betrachten hier nicht, was dies Nackte
auf die Sitten der Griechen fuͤr Einfluß hatte,
denn mit ſolchen Spruͤngen von einem Felde
ins andere kommt man nicht weit. Nichts iſt
feinerer Natur, als Zucht und das Wohlanſtaͤn-
dige oder Aergerliche des Auges: es kommt da-
bey ſo viel auf Himmelsſtrich, Kleidungsart,
Spiele, fruͤhe Gewohnheit und Erziehung, auf
den Stand, den beyde Geſchlechter gegen ein-
ander haben, inſonderheit auf den Abgrund von
Sonderbarkeiten an, den man Charakter der
Nation nennt, daß die Unterſuchung deſſen ein
eigenes Buch werden duͤrfte. Es konnte den
Gothen, die aus Norden kamen, die wuͤrklich
zuͤchtiger und unter ihrem Himmelsſtrich an dich-
tere Kleider gewoͤhnt waren, bey denen das weib-
liche Geſchlecht zum maͤnnlichen uͤberhaupt an-
ders ſtand als bei den Griechen, und die uͤberdem
die Statuen unter einem verderbten Volke fan-
den, das vielleicht ſeinen Untergang mit von
ihnen herhatte; ich ſage, dieſen Gothen konnte
(auch ihre neue Religion unbetrachtet,) der An-
blick der Statuen mit Recht ſehr widrig ſeyn, da-
her die meiſten auch ſo ein ungluͤckliches Ende nah-
men, ohne daß man deshalb von Gothen auf
Griechen geradezu ſchließen muͤſte. Wenn un-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/37>, abgerufen am 27.07.2024.
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