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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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3. Und endlich. Was hat die Allegorie mit
der bildenden Kunst zu schaffen? Wie weit kann
diese allegorisiren?

Die Frage ist sehr verwirret worden, weil
man alle Künste, ja gar (horribile dictu!) alle
Wissenschaften mit ihnen auf Einerlei Grunde
betrachtet hat, ohne einzusehen, daß diese im
Gebrauch keines Zwirnsfadens und keiner Nadel-
spitze Eins sind. Ueber Winkelmanns Werk,
das die Allegorie im weitläuftigsten Sinne
nimmt und, da es den ersten Anfang einer Rüst-
kammer für alle Künste des Schönen geben woll-
te, nothwendig so allgemein seyn muste, über
dies Werk, sage ich, ist viel seltner und halb-
wahrer Tadel vorgebracht worden, durch den
weder dem Künstler noch Weisen Gnüge ge-
schiehet. Die Hauptfrage bleibt: was ist Al-
legorie? und was ist sie hier? Durch welche
Mittel würkt, auf welchem Boden steht sie?
und da ergibt sich, jede Kunst muß völlig ihre
eigne
haben, oder es gibt gar keine.

Jener weise Alte machte daher den Begriff
der Allegorie so groß: sie bedeutet Eins durchs
Andere
, allo durch allo. Wie sie das be-
deute? von welcher Art das allo und allo
sei? das kann nicht die allgemeine Theorie, das
muß Stand, Absicht, Kunst, kurz der einzel-
ne
, hier bestimmte Gebrauch lehren.

Jch

3. Und endlich. Was hat die Allegorie mit
der bildenden Kunſt zu ſchaffen? Wie weit kann
dieſe allegoriſiren?

Die Frage iſt ſehr verwirret worden, weil
man alle Kuͤnſte, ja gar (horribile dictu!) alle
Wiſſenſchaften mit ihnen auf Einerlei Grunde
betrachtet hat, ohne einzuſehen, daß dieſe im
Gebrauch keines Zwirnsfadens und keiner Nadel-
ſpitze Eins ſind. Ueber Winkelmanns Werk,
das die Allegorie im weitlaͤuftigſten Sinne
nimmt und, da es den erſten Anfang einer Ruͤſt-
kammer fuͤr alle Kuͤnſte des Schoͤnen geben woll-
te, nothwendig ſo allgemein ſeyn muſte, uͤber
dies Werk, ſage ich, iſt viel ſeltner und halb-
wahrer Tadel vorgebracht worden, durch den
weder dem Kuͤnſtler noch Weiſen Gnuͤge ge-
ſchiehet. Die Hauptfrage bleibt: was iſt Al-
legorie? und was iſt ſie hier? Durch welche
Mittel wuͤrkt, auf welchem Boden ſteht ſie?
und da ergibt ſich, jede Kunſt muß voͤllig ihre
eigne
haben, oder es gibt gar keine.

Jener weiſe Alte machte daher den Begriff
der Allegorie ſo groß: ſie bedeutet Eins durchs
Andere
, αλλο durch αλλο. Wie ſie das be-
deute? von welcher Art das αλλο und αλλο
ſei? das kann nicht die allgemeine Theorie, das
muß Stand, Abſicht, Kunſt, kurz der einzel-
ne
, hier beſtimmte Gebrauch lehren.

Jch
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[127/0130] 3. Und endlich. Was hat die Allegorie mit der bildenden Kunſt zu ſchaffen? Wie weit kann dieſe allegoriſiren? Die Frage iſt ſehr verwirret worden, weil man alle Kuͤnſte, ja gar (horribile dictu!) alle Wiſſenſchaften mit ihnen auf Einerlei Grunde betrachtet hat, ohne einzuſehen, daß dieſe im Gebrauch keines Zwirnsfadens und keiner Nadel- ſpitze Eins ſind. Ueber Winkelmanns Werk, das die Allegorie im weitlaͤuftigſten Sinne nimmt und, da es den erſten Anfang einer Ruͤſt- kammer fuͤr alle Kuͤnſte des Schoͤnen geben woll- te, nothwendig ſo allgemein ſeyn muſte, uͤber dies Werk, ſage ich, iſt viel ſeltner und halb- wahrer Tadel vorgebracht worden, durch den weder dem Kuͤnſtler noch Weiſen Gnuͤge ge- ſchiehet. Die Hauptfrage bleibt: was iſt Al- legorie? und was iſt ſie hier? Durch welche Mittel wuͤrkt, auf welchem Boden ſteht ſie? und da ergibt ſich, jede Kunſt muß voͤllig ihre eigne haben, oder es gibt gar keine. Jener weiſe Alte machte daher den Begriff der Allegorie ſo groß: ſie bedeutet Eins durchs Andere, αλλο durch αλλο. Wie ſie das be- deute? von welcher Art das αλλο und αλλο ſei? das kann nicht die allgemeine Theorie, das muß Stand, Abſicht, Kunſt, kurz der einzel- ne, hier beſtimmte Gebrauch lehren. Jch

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/130>, abgerufen am 23.11.2024.