Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch kann sagen, daß bildende Kunst eine
beständige Allegorie sei, denn sie bildet Seele
durch Körper, und zwei größere alla kanns
wohl nicht geben, insonderheit wenn man die
Philosophen der Gelegenheit und der prästabi-
lirten Harmonie um Rath frägt. Der Künst-
ler hat das Vorbild von Geist, Charakter,
Seele
in sich und schafft diesem Fleisch und
Gebein: er allegorisirt also durch alle Glieder.
Verhältniß ist ihm nur das Nichtohne, die
Bedingung, nie aber das Wesen seiner Kunst
oder die Ursache ihrer Würkung. Dies ist
Seele, die sich Form schafft, und wo beide,
Form und Seele, vom Verhältniß gelinde ab-
zuweichen befehlen, kann er nicht blos, son-
dern muß abweichen, wie bei Apollo's längern
Schenkeln, bei Herkules dickerm Halse, u. f.
Ueberhaupt Verhältniß in der Kunst zum Haupt-
werk machen, und für Antinous und Mars,
Jupiter und den Faun Ein und dasselbe festse-
tzen, heißt, jedem Perioden und Gliede einer
Allegorie Ein Maas vorschreiben, oder aus der
Algebra Musik komponiren. Leibhafte Form
ist der Tempel und Geist die Gottheit, die
ihn durchhauchet: da nun nicht jeder Gott und
jeder Tempel gleicher Art ist, so können bis auf
jedes Winkelchen in ihm unmöglich dieselbe Ver-
hältnisse gelten. --

Und

Jch kann ſagen, daß bildende Kunſt eine
beſtaͤndige Allegorie ſei, denn ſie bildet Seele
durch Koͤrper, und zwei groͤßere αλλα kanns
wohl nicht geben, inſonderheit wenn man die
Philoſophen der Gelegenheit und der praͤſtabi-
lirten Harmonie um Rath fraͤgt. Der Kuͤnſt-
ler hat das Vorbild von Geiſt, Charakter,
Seele
in ſich und ſchafft dieſem Fleiſch und
Gebein: er allegoriſirt alſo durch alle Glieder.
Verhaͤltniß iſt ihm nur das Nichtohne, die
Bedingung, nie aber das Weſen ſeiner Kunſt
oder die Urſache ihrer Wuͤrkung. Dies iſt
Seele, die ſich Form ſchafft, und wo beide,
Form und Seele, vom Verhaͤltniß gelinde ab-
zuweichen befehlen, kann er nicht blos, ſon-
dern muß abweichen, wie bei Apollo’s laͤngern
Schenkeln, bei Herkules dickerm Halſe, u. f.
Ueberhaupt Verhaͤltniß in der Kunſt zum Haupt-
werk machen, und fuͤr Antinous und Mars,
Jupiter und den Faun Ein und daſſelbe feſtſe-
tzen, heißt, jedem Perioden und Gliede einer
Allegorie Ein Maas vorſchreiben, oder aus der
Algebra Muſik komponiren. Leibhafte Form
iſt der Tempel und Geiſt die Gottheit, die
ihn durchhauchet: da nun nicht jeder Gott und
jeder Tempel gleicher Art iſt, ſo koͤnnen bis auf
jedes Winkelchen in ihm unmoͤglich dieſelbe Ver-
haͤltniſſe gelten. —

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0131" n="128"/>
        <p>Jch kann &#x017F;agen, daß bildende Kun&#x017F;t eine<lb/><hi rendition="#fr">be&#x017F;ta&#x0364;ndige Allegorie</hi> &#x017F;ei, denn &#x017F;ie bildet <hi rendition="#fr">Seele</hi><lb/>
durch <hi rendition="#fr">Ko&#x0364;rper</hi>, und zwei gro&#x0364;ßere &#x03B1;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B1; kanns<lb/>
wohl nicht geben, in&#x017F;onderheit wenn man die<lb/>
Philo&#x017F;ophen der Gelegenheit und der pra&#x0364;&#x017F;tabi-<lb/>
lirten Harmonie um Rath fra&#x0364;gt. Der Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler hat das Vorbild von <hi rendition="#fr">Gei&#x017F;t, Charakter,<lb/>
Seele</hi> in &#x017F;ich und &#x017F;chafft die&#x017F;em <hi rendition="#fr">Flei&#x017F;ch</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Gebein</hi>: er <hi rendition="#fr">allegori&#x017F;irt al&#x017F;o durch alle Glieder</hi>.<lb/>
Verha&#x0364;ltniß i&#x017F;t ihm nur das <hi rendition="#fr">Nichtohne</hi>, die<lb/>
Bedingung, nie aber das <hi rendition="#fr">We&#x017F;en</hi> &#x017F;einer Kun&#x017F;t<lb/>
oder die Ur&#x017F;ache ihrer Wu&#x0364;rkung. Dies i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">Seele</hi>, die &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Form</hi> &#x017F;chafft, und wo beide,<lb/>
Form und Seele, vom Verha&#x0364;ltniß gelinde ab-<lb/>
zuweichen befehlen, kann er nicht blos, &#x017F;on-<lb/>
dern muß abweichen, wie bei Apollo&#x2019;s <hi rendition="#fr">la&#x0364;ngern</hi><lb/>
Schenkeln, bei Herkules <hi rendition="#fr">dickerm</hi> Hal&#x017F;e, u. f.<lb/>
Ueberhaupt Verha&#x0364;ltniß in der Kun&#x017F;t zum Haupt-<lb/>
werk machen, und fu&#x0364;r Antinous und Mars,<lb/>
Jupiter und den Faun Ein und da&#x017F;&#x017F;elbe fe&#x017F;t&#x017F;e-<lb/>
tzen, heißt, jedem Perioden und Gliede einer<lb/>
Allegorie <hi rendition="#fr">Ein</hi> Maas vor&#x017F;chreiben, oder aus der<lb/>
Algebra Mu&#x017F;ik komponiren. <hi rendition="#fr">Leibhafte Form</hi><lb/>
i&#x017F;t der Tempel und <hi rendition="#fr">Gei&#x017F;t</hi> die Gottheit, die<lb/>
ihn durchhauchet: da nun nicht jeder Gott und<lb/>
jeder Tempel gleicher Art i&#x017F;t, &#x017F;o ko&#x0364;nnen bis auf<lb/>
jedes Winkelchen in ihm unmo&#x0364;glich die&#x017F;elbe Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e gelten. &#x2014;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0131] Jch kann ſagen, daß bildende Kunſt eine beſtaͤndige Allegorie ſei, denn ſie bildet Seele durch Koͤrper, und zwei groͤßere αλλα kanns wohl nicht geben, inſonderheit wenn man die Philoſophen der Gelegenheit und der praͤſtabi- lirten Harmonie um Rath fraͤgt. Der Kuͤnſt- ler hat das Vorbild von Geiſt, Charakter, Seele in ſich und ſchafft dieſem Fleiſch und Gebein: er allegoriſirt alſo durch alle Glieder. Verhaͤltniß iſt ihm nur das Nichtohne, die Bedingung, nie aber das Weſen ſeiner Kunſt oder die Urſache ihrer Wuͤrkung. Dies iſt Seele, die ſich Form ſchafft, und wo beide, Form und Seele, vom Verhaͤltniß gelinde ab- zuweichen befehlen, kann er nicht blos, ſon- dern muß abweichen, wie bei Apollo’s laͤngern Schenkeln, bei Herkules dickerm Halſe, u. f. Ueberhaupt Verhaͤltniß in der Kunſt zum Haupt- werk machen, und fuͤr Antinous und Mars, Jupiter und den Faun Ein und daſſelbe feſtſe- tzen, heißt, jedem Perioden und Gliede einer Allegorie Ein Maas vorſchreiben, oder aus der Algebra Muſik komponiren. Leibhafte Form iſt der Tempel und Geiſt die Gottheit, die ihn durchhauchet: da nun nicht jeder Gott und jeder Tempel gleicher Art iſt, ſo koͤnnen bis auf jedes Winkelchen in ihm unmoͤglich dieſelbe Ver- haͤltniſſe gelten. — Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/131
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/131>, abgerufen am 23.11.2024.