[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.Jst also kein Reiz ohne Bewegung; so zeigt den
Jſt alſo kein Reiz ohne Bewegung; ſo zeigt den
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Jſt alſo kein Reiz ohne Bewegung; ſo zeigt
dieſe, die Morgenroͤthe zur Handlung aber-
mals und ſelbſt dem dunkeltaſtenden Sinne: wo-
her nur die anbrechende oder gemaͤßigte Leiden-
ſchaft und Handlung Reiz verleihe? Jn dieſem
Schweben naͤhmlich allein iſt ſie zwiſchen den bei-
den Aeußerſten, Nacht und Sonne, zwiſchen
Steife und uͤbergieſſender Fuͤlle. Man beruͤhre
jedes Glied in ſeinem hoͤchſten Tone, wie kurz iſts
zu ertragen! Die emporgezogne Stirn und das
grinſende Lieblaͤcheln, das die Augen ſchließt und
den Mund verzerret, ein ſich zum Kropf ſenken-
des Kinn und die ſich zur Tonne bruͤſtende Bruſt,
und der uͤberſtreckte ſpitze Arm und der zu ſcharf
angeſtrengte oder verworfene Fuß — man taſte
alle dieſe Glieder, und man wird Mechaniſch,
wie geiſtig, das Abweichen von aller ſchoͤnen
Form und Handlung fuͤhlen. Ein ſchreiender
Mund iſt der fuͤhlenden Hand eine Hoͤle: das La-
chen der Wange eine Runzel. Die ewigen Ge-
ſetze der menſchlichen Schoͤnheit ſind alſo Meta-
phyſiſch und Phyſiſch, Moraliſch und Plaſtiſch
voͤllig dieſelbe. Ein Menſch im Morgen des
Jahrs wie des Lebens, im Fruͤhlinge der Be-
wegung wie der Handlung, iſt immer Ein ana-
loges Geſchoͤpf, die ſchoͤne Mitte zweier Extre-
me. Der Schwan, der ſich um die Leda ſchlingt,
und Leda, wie ſie ihm zuwallet, Danae, wie ſie
den
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