[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.Weiche und dem Anschein der Vollkommenheit Woher dies Letzte? Jch wiederhole, weil das Jst
Weiche und dem Anſchein der Vollkommenheit Woher dies Letzte? Jch wiederhole, weil das Jſt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0109" n="106"/> Weiche und dem Anſchein der Vollkommenheit<lb/> bekleidet. Nur aber iſts <hi rendition="#fr">Anſchein:</hi> denn ein<lb/> Kugelbauch, wie ein Kugelkopf und Kugelwade,<lb/> ſind uͤberfuͤllte Auswuͤchſe, in ihnen ſelbſt der<lb/> Keim der Zerſtoͤrung.</p><lb/> <p>Woher dies Letzte? Jch wiederhole, weil das<lb/> Menſchliche Gefaͤß keiner <hi rendition="#fr">Vollkommenheit</hi> und<lb/> alſo auch keines Zeichens derſelben faͤhig iſt: denn<lb/> Vollkommenheit iſt <hi rendition="#fr">Ruhe,</hi> ſie aber ſoll <hi rendition="#fr">wuͤrken,<lb/> ſtreben.</hi> Die Kugelbaͤuche und Kugelkoͤpfe moͤ-<lb/> gen viel Behaglichkeit, Satte und Allgnugſam-<lb/> keit in ſich haben; zum Fortſchwunge im Ganzen<lb/> ſind ſie um ſo minder: ſie tragen uͤber und vor<lb/> ſich ihren eignen Atlas. Wie das Licht empor-<lb/> wallet in der Flamme und das Meer aus ſeiner<lb/> Ruhe in Wellen laͤuft, und die Sonne ſelbſt im<lb/> Thierkreiſe den Erdkreis ſchlingend umwindet: ſo<lb/> wird beim Menſchlichen Geſchoͤpf nur durch Be-<lb/> wegung <hi rendition="#fr">Reiz,</hi> und in Linien, Formen und Thaten<lb/> iſt <hi rendition="#fr">Reiz</hi> nichts als <hi rendition="#fr">Schoͤne in Bewegung.</hi> Sie<lb/> entfernt ſich von der Linie der <hi rendition="#fr">Nothdurft,</hi> die ihr<lb/> doch Baſis bleiben muß, und wallet zur <hi rendition="#fr">Vollkom-<lb/> menheit</hi> hin, ohne ſich in ſie zu verſenken. Zwi-<lb/> ſchen dieſen beiden Aeußerſten ſchwebt das Men-<lb/> ſchengeſchlecht und ſeine beiden Geſchlechte: der<lb/> Mann auch in ſeinem <hi rendition="#fr">Stande</hi> der Linie der ve-<lb/> ſten <hi rendition="#fr">Richtigkeit</hi> naͤher, das Weib mit <hi rendition="#fr">ſchweben-<lb/> der Schoͤnheit,</hi> die <hi rendition="#fr">Reiz</hi> iſt, bekleidet.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jſt</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [106/0109]
Weiche und dem Anſchein der Vollkommenheit
bekleidet. Nur aber iſts Anſchein: denn ein
Kugelbauch, wie ein Kugelkopf und Kugelwade,
ſind uͤberfuͤllte Auswuͤchſe, in ihnen ſelbſt der
Keim der Zerſtoͤrung.
Woher dies Letzte? Jch wiederhole, weil das
Menſchliche Gefaͤß keiner Vollkommenheit und
alſo auch keines Zeichens derſelben faͤhig iſt: denn
Vollkommenheit iſt Ruhe, ſie aber ſoll wuͤrken,
ſtreben. Die Kugelbaͤuche und Kugelkoͤpfe moͤ-
gen viel Behaglichkeit, Satte und Allgnugſam-
keit in ſich haben; zum Fortſchwunge im Ganzen
ſind ſie um ſo minder: ſie tragen uͤber und vor
ſich ihren eignen Atlas. Wie das Licht empor-
wallet in der Flamme und das Meer aus ſeiner
Ruhe in Wellen laͤuft, und die Sonne ſelbſt im
Thierkreiſe den Erdkreis ſchlingend umwindet: ſo
wird beim Menſchlichen Geſchoͤpf nur durch Be-
wegung Reiz, und in Linien, Formen und Thaten
iſt Reiz nichts als Schoͤne in Bewegung. Sie
entfernt ſich von der Linie der Nothdurft, die ihr
doch Baſis bleiben muß, und wallet zur Vollkom-
menheit hin, ohne ſich in ſie zu verſenken. Zwi-
ſchen dieſen beiden Aeußerſten ſchwebt das Men-
ſchengeſchlecht und ſeine beiden Geſchlechte: der
Mann auch in ſeinem Stande der Linie der ve-
ſten Richtigkeit naͤher, das Weib mit ſchweben-
der Schoͤnheit, die Reiz iſt, bekleidet.
Jſt
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