Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



liche Blüthe ihres Welt- und Zeitgeists. --
Die breiten Landstrassen werden immer engere
Fußtritte und Steilhöhen auf denen wenige
wandeln können, -- aber Höhen sinds und stre-
ben zum
Gipfel! Welcher Zustand einmal auf
dem krümmenden Schlangenwege der Vorsehung,
wenn Haut und Hindernisse zurückgelassen, ver-
jüngtes
Geschöpf in neuem Frühlinge aufle-
bet! -- eine unsinnlichere, sich gleichere
Menschheit!
nun völlig Welt um sich, Lebens-
kraft
und Principium, nach dem wir nur müh-
sam streben, in sich habend -- welche
Schöpfung! und wer, der die Wahrscheinlich-
keit und Möglichkeit davon zu leugnen hätte?
Verfeinerung und läuternder Fortgang der
Tugendbegriffe aus den sinnlichsten Kindes-
zeiten hinauf durch alle Geschichte ist offen-
bar: Umherbreitung
und Fortgang ins
Weite offenbar:
und das alles ohne Zweck?
ohne Absicht?

Daß sich die Begriffe von menschlicher Frey-
heit, Geselligkeit, Gleichheit
und Allglück-
seligkeit aufklären
und verbreiten, ist bekannt.
Für uns nicht so gleich von den besten Folgen,
oft dem ersten Anscheine nach, das Böse anfangs
das Gute überwiegend: Aber! --

Ge-



liche Bluͤthe ihres Welt- und Zeitgeiſts.
Die breiten Landſtraſſen werden immer engere
Fußtritte und Steilhoͤhen auf denen wenige
wandeln koͤnnen, — aber Hoͤhen ſinds und ſtre-
ben zum
Gipfel! Welcher Zuſtand einmal auf
dem kruͤmmenden Schlangenwege der Vorſehung,
wenn Haut und Hinderniſſe zuruͤckgelaſſen, ver-
juͤngtes
Geſchoͤpf in neuem Fruͤhlinge aufle-
bet! — eine unſinnlichere, ſich gleichere
Menſchheit!
nun voͤllig Welt um ſich, Lebens-
kraft
und Principium, nach dem wir nur muͤh-
ſam ſtreben, in ſich habend — welche
Schoͤpfung! und wer, der die Wahrſcheinlich-
keit und Moͤglichkeit davon zu leugnen haͤtte?
Verfeinerung und laͤuternder Fortgang der
Tugendbegriffe aus den ſinnlichſten Kindes-
zeiten hinauf durch alle Geſchichte iſt offen-
bar: Umherbreitung
und Fortgang ins
Weite offenbar:
und das alles ohne Zweck?
ohne Abſicht?

Daß ſich die Begriffe von menſchlicher Frey-
heit, Geſelligkeit, Gleichheit
und Allgluͤck-
ſeligkeit aufklaͤren
und verbreiten, iſt bekannt.
Fuͤr uns nicht ſo gleich von den beſten Folgen,
oft dem erſten Anſcheine nach, das Boͤſe anfangs
das Gute uͤberwiegend: Aber! —

Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0174" n="170"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> liche Blu&#x0364;the ihres <hi rendition="#b">Welt-</hi> und <hi rendition="#b">Zeitgei&#x017F;ts.</hi> &#x2014;<lb/>
Die breiten Land&#x017F;tra&#x017F;&#x017F;en werden immer <hi rendition="#b">engere</hi><lb/>
Fußtritte und <hi rendition="#b">Steilho&#x0364;hen</hi> auf denen wenige<lb/>
wandeln ko&#x0364;nnen, &#x2014; aber <hi rendition="#b">Ho&#x0364;hen</hi> &#x017F;inds und <hi rendition="#b">&#x017F;tre-<lb/>
ben zum</hi> Gipfel! Welcher Zu&#x017F;tand einmal auf<lb/>
dem kru&#x0364;mmenden Schlangenwege der Vor&#x017F;ehung,<lb/>
wenn Haut und Hinderni&#x017F;&#x017F;e zuru&#x0364;ckgela&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#b">ver-<lb/>
ju&#x0364;ngtes</hi> Ge&#x017F;cho&#x0364;pf in neuem Fru&#x0364;hlinge aufle-<lb/>
bet! &#x2014; eine <hi rendition="#b">un&#x017F;innlichere,</hi> &#x017F;ich <hi rendition="#b">gleichere<lb/>
Men&#x017F;chheit!</hi> nun vo&#x0364;llig <hi rendition="#b">Welt um &#x017F;ich, Lebens-<lb/>
kraft</hi> und Principium, nach dem wir nur mu&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;am <hi rendition="#b">&#x017F;treben, in &#x017F;ich</hi> habend &#x2014; welche<lb/>
Scho&#x0364;pfung! und wer, der die Wahr&#x017F;cheinlich-<lb/>
keit und Mo&#x0364;glichkeit davon zu leugnen ha&#x0364;tte?<lb/><hi rendition="#b">Verfeinerung</hi> und <hi rendition="#b">la&#x0364;uternder Fortgang</hi> der<lb/><hi rendition="#b">Tugendb</hi>egriffe aus den <hi rendition="#b">&#x017F;innlich&#x017F;ten Kindes-<lb/>
zeiten hinauf durch alle Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t offen-<lb/>
bar: Umherbreitung</hi> und <hi rendition="#b">Fortgang ins<lb/>
Weite offenbar:</hi> und das alles <hi rendition="#b">ohne Zweck?<lb/>
ohne Ab&#x017F;icht?</hi></p><lb/>
            <p>Daß &#x017F;ich die <hi rendition="#b">Begriffe</hi> von <hi rendition="#b">men&#x017F;chlicher Frey-<lb/>
heit, Ge&#x017F;elligkeit, Gleichheit</hi> und <hi rendition="#b">Allglu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;eligkeit aufkla&#x0364;ren</hi> und <hi rendition="#b">verbreiten,</hi> i&#x017F;t bekannt.<lb/>
Fu&#x0364;r uns nicht &#x017F;o gleich von den be&#x017F;ten Folgen,<lb/>
oft dem er&#x017F;ten An&#x017F;cheine nach, das Bo&#x0364;&#x017F;e anfangs<lb/>
das Gute u&#x0364;berwiegend: Aber! &#x2014;</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ge-</hi> </fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0174] liche Bluͤthe ihres Welt- und Zeitgeiſts. — Die breiten Landſtraſſen werden immer engere Fußtritte und Steilhoͤhen auf denen wenige wandeln koͤnnen, — aber Hoͤhen ſinds und ſtre- ben zum Gipfel! Welcher Zuſtand einmal auf dem kruͤmmenden Schlangenwege der Vorſehung, wenn Haut und Hinderniſſe zuruͤckgelaſſen, ver- juͤngtes Geſchoͤpf in neuem Fruͤhlinge aufle- bet! — eine unſinnlichere, ſich gleichere Menſchheit! nun voͤllig Welt um ſich, Lebens- kraft und Principium, nach dem wir nur muͤh- ſam ſtreben, in ſich habend — welche Schoͤpfung! und wer, der die Wahrſcheinlich- keit und Moͤglichkeit davon zu leugnen haͤtte? Verfeinerung und laͤuternder Fortgang der Tugendbegriffe aus den ſinnlichſten Kindes- zeiten hinauf durch alle Geſchichte iſt offen- bar: Umherbreitung und Fortgang ins Weite offenbar: und das alles ohne Zweck? ohne Abſicht? Daß ſich die Begriffe von menſchlicher Frey- heit, Geſelligkeit, Gleichheit und Allgluͤck- ſeligkeit aufklaͤren und verbreiten, iſt bekannt. Fuͤr uns nicht ſo gleich von den beſten Folgen, oft dem erſten Anſcheine nach, das Boͤſe anfangs das Gute uͤberwiegend: Aber! — Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/174
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/174>, abgerufen am 22.11.2024.