Geselligkeit und leichter Umgang zwischen den Geschlechtern, hat er nicht die Ehre, An- ständigkeit und Zucht beyder Theile erniedrigt? für Stand, Geld und Artigkeit alle Schlösser der großen Welt aufgesprengt? die erste Blü- the des männlichen und die edelsten Früchte des weiblichen Geschlechts in Ehe- und Mut- terliebe und Erziehung haben wie viel gelitten? ihr Schade sich wohin fortverbreitet? -- Ab- grund unersetzlicher Uebel! da selbst die Quel- len der Besserung und Genesung, Jugend, Le- benskraft und bessere Erziehung verstopft sind. -- Die schlankern, also leicht umher spielenden Aeste können nicht anders als in ihrem zu früh und unkräftigen Lebensspiele mitten im Son- nenstrale verdorren! Unersetzlicher Verlust! -- vielleicht für alle Politik unabhelfbar! für alle Menschenliebe nicht gnug zu beklagen, -- aber für die Hand der Vorsehung noch Werkzeug. Wenn hundert arme Geschöpfe hier mit ver- trocknetem Gaum um die erste Quelle des Le- bens, der Geselligkeit und Freude hinsinken, lechzen und verschmachten -- die Quelle selbst, an denen sie sich unglücklich täuschten, läutert! Siehe, wie sie in spätern Jahren, vielleicht auch übertrieben, nun andre Früchte der Ergötzlichkeit suchen, sich neue Welten idea-
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Geſelligkeit und leichter Umgang zwiſchen den Geſchlechtern, hat er nicht die Ehre, An- ſtaͤndigkeit und Zucht beyder Theile erniedrigt? fuͤr Stand, Geld und Artigkeit alle Schloͤſſer der großen Welt aufgeſprengt? die erſte Bluͤ- the des maͤnnlichen und die edelſten Fruͤchte des weiblichen Geſchlechts in Ehe- und Mut- terliebe und Erziehung haben wie viel gelitten? ihr Schade ſich wohin fortverbreitet? — Ab- grund unerſetzlicher Uebel! da ſelbſt die Quel- len der Beſſerung und Geneſung, Jugend, Le- benskraft und beſſere Erziehung verſtopft ſind. — Die ſchlankern, alſo leicht umher ſpielenden Aeſte koͤnnen nicht anders als in ihrem zu fruͤh und unkraͤftigen Lebensſpiele mitten im Son- nenſtrale verdorren! Unerſetzlicher Verluſt! — vielleicht fuͤr alle Politik unabhelfbar! fuͤr alle Menſchenliebe nicht gnug zu beklagen, — aber fuͤr die Hand der Vorſehung noch Werkzeug. Wenn hundert arme Geſchoͤpfe hier mit ver- trocknetem Gaum um die erſte Quelle des Le- bens, der Geſelligkeit und Freude hinſinken, lechzen und verſchmachten — die Quelle ſelbſt, an denen ſie ſich ungluͤcklich taͤuſchten, laͤutert! Siehe, wie ſie in ſpaͤtern Jahren, vielleicht auch uͤbertrieben, nun andre Fruͤchte der Ergoͤtzlichkeit ſuchen, ſich neue Welten idea-
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Geſelligkeit und leichter Umgang zwiſchen
den Geſchlechtern, hat er nicht die Ehre, An-
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der großen Welt aufgeſprengt? die erſte Bluͤ-
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des weiblichen Geſchlechts in Ehe- und Mut-
terliebe und Erziehung haben wie viel gelitten?
ihr Schade ſich wohin fortverbreitet? — Ab-
grund unerſetzlicher Uebel! da ſelbſt die Quel-
len der Beſſerung und Geneſung, Jugend, Le-
benskraft und beſſere Erziehung verſtopft ſind. —
Die ſchlankern, alſo leicht umher ſpielenden
Aeſte koͤnnen nicht anders als in ihrem zu fruͤh
und unkraͤftigen Lebensſpiele mitten im Son-
nenſtrale verdorren! Unerſetzlicher Verluſt! —
vielleicht fuͤr alle Politik unabhelfbar! fuͤr alle
Menſchenliebe nicht gnug zu beklagen, — aber
fuͤr die Hand der Vorſehung noch Werkzeug.
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trocknetem Gaum um die erſte Quelle des Le-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/175>, abgerufen am 15.08.2024.
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