gesellschaftlichen Tons uns weit voraus sind: - ihr Deutsche, wo haben wir sie denn? Jch muß mich ja schämen, einen Köster neben Algarotti zu sezzen!
6.
Jetzt bitte ich einige Dichter etwas beyseit; mit denen ich ein Wort zu sprechen habe. Wenn bei sinnlichen Begriffen, bei Er- fahrungsideen, bei einfachen Wahrheiten, und in der klaren Sprache des natürlichen Lebens der Gedanke am Ausdrucke so sehr klebt: so wird für den, der meistens aus die- ser Quelle schöpfen muß, für den, der gleich- sam der Oberherr dieser Sphäre gewesen, (wenigstens in der alten sinnlichen Zeit der Welt) für ihn, muß der Gedanke zum Aus- drucke sich verhalten, nicht wie der Körper zur Haut, die ihn umziehet; sondern wie die Seele zum Körper, den sie bewohnet: und so ists für den Dichter. Er soll Empfin- dungen ausdrücken: -- Empfindungen durch
eine
Fragm.IIIS. E
geſellſchaftlichen Tons uns weit voraus ſind: – ihr Deutſche, wo haben wir ſie denn? Jch muß mich ja ſchaͤmen, einen Koͤſter neben Algarotti zu ſezzen!
6.
Jetzt bitte ich einige Dichter etwas beyſeit; mit denen ich ein Wort zu ſprechen habe. Wenn bei ſinnlichen Begriffen, bei Er- fahrungsideen, bei einfachen Wahrheiten, und in der klaren Sprache des natuͤrlichen Lebens der Gedanke am Ausdrucke ſo ſehr klebt: ſo wird fuͤr den, der meiſtens aus die- ſer Quelle ſchoͤpfen muß, fuͤr den, der gleich- ſam der Oberherr dieſer Sphaͤre geweſen, (wenigſtens in der alten ſinnlichen Zeit der Welt) fuͤr ihn, muß der Gedanke zum Aus- drucke ſich verhalten, nicht wie der Koͤrper zur Haut, die ihn umziehet; ſondern wie die Seele zum Koͤrper, den ſie bewohnet: und ſo iſts fuͤr den Dichter. Er ſoll Empfin- dungen ausdruͤcken: — Empfindungen durch
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Fragm.IIIS. E
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geſellſchaftlichen Tons uns weit voraus ſind: –
ihr Deutſche, wo haben wir ſie denn? Jch
muß mich ja ſchaͤmen, einen Koͤſter neben
Algarotti zu ſezzen!
6.
Jetzt bitte ich einige Dichter etwas beyſeit;
mit denen ich ein Wort zu ſprechen habe.
Wenn bei ſinnlichen Begriffen, bei Er-
fahrungsideen, bei einfachen Wahrheiten,
und in der klaren Sprache des natuͤrlichen
Lebens der Gedanke am Ausdrucke ſo ſehr
klebt: ſo wird fuͤr den, der meiſtens aus die-
ſer Quelle ſchoͤpfen muß, fuͤr den, der gleich-
ſam der Oberherr dieſer Sphaͤre geweſen,
(wenigſtens in der alten ſinnlichen Zeit der
Welt) fuͤr ihn, muß der Gedanke zum Aus-
drucke ſich verhalten, nicht wie der Koͤrper
zur Haut, die ihn umziehet; ſondern wie die
Seele zum Koͤrper, den ſie bewohnet: und
ſo iſts fuͤr den Dichter. Er ſoll Empfin-
dungen ausdruͤcken: — Empfindungen durch
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Fragm. III S. E
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/73>, abgerufen am 04.05.2024.
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