eine gemahlte Sprache in Büchern ist schwer, ja an sich unmöglich. Jm Auge, im Antlitz, durch den Ton, durch die Zeichensprache des Körpers -- so spricht die Empfindung ei- gentlich, und überläßt den todten Gedanken das Gebiet der todten Sprache. Nun, armer Dichter! und du sollst deine Empfindungen aufs Blatt mahlen, sie durch einen Kanal schwarzen Safts hinströmen, du sollst schrei- ben, daß man es fühlt, und sollst dem wah- ren Ausdrucke der Empfindung entsagen; du sollst nicht dein Papier mit Thränen benetzen, daß die Tinte zerfließt, du sollst deine ganze lebendige Seele in todte Buchstaben hinmah- len, und parliren, statt auszudrücken. -- Hier sieht man, daß bei dieser Sprache der Empfindungen, wo ich nicht sagen, sondern sprechen muß, daß man mir glaubt, wo ich nicht schreiben, sondern in die Seele reden muß, daß es der andre fühlt: daß hier der eigentliche Ausdruck unabtrennlich sey. Du mußt den natürlichen Ausdruck der Em- pfindung künstlich vorstellen, wie du einen Würfel auf der Oberfläche zeichnest; du mußt den ganzen Ton deiner Empfindung in dem
Perio-
eine gemahlte Sprache in Buͤchern iſt ſchwer, ja an ſich unmoͤglich. Jm Auge, im Antlitz, durch den Ton, durch die Zeichenſprache des Koͤrpers — ſo ſpricht die Empfindung ei- gentlich, und uͤberlaͤßt den todten Gedanken das Gebiet der todten Sprache. Nun, armer Dichter! und du ſollſt deine Empfindungen aufs Blatt mahlen, ſie durch einen Kanal ſchwarzen Safts hinſtroͤmen, du ſollſt ſchrei- ben, daß man es fuͤhlt, und ſollſt dem wah- ren Ausdrucke der Empfindung entſagen; du ſollſt nicht dein Papier mit Thraͤnen benetzen, daß die Tinte zerfließt, du ſollſt deine ganze lebendige Seele in todte Buchſtaben hinmah- len, und parliren, ſtatt auszudruͤcken. — Hier ſieht man, daß bei dieſer Sprache der Empfindungen, wo ich nicht ſagen, ſondern ſprechen muß, daß man mir glaubt, wo ich nicht ſchreiben, ſondern in die Seele reden muß, daß es der andre fuͤhlt: daß hier der eigentliche Ausdruck unabtrennlich ſey. Du mußt den natuͤrlichen Ausdruck der Em- pfindung kuͤnſtlich vorſtellen, wie du einen Wuͤrfel auf der Oberflaͤche zeichneſt; du mußt den ganzen Ton deiner Empfindung in dem
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eine gemahlte Sprache in Buͤchern iſt ſchwer,
ja an ſich unmoͤglich. Jm Auge, im Antlitz,
durch den Ton, durch die Zeichenſprache des
Koͤrpers — ſo ſpricht die Empfindung ei-
gentlich, und uͤberlaͤßt den todten Gedanken
das Gebiet der todten Sprache. Nun, armer
Dichter! und du ſollſt deine Empfindungen
aufs Blatt mahlen, ſie durch einen Kanal
ſchwarzen Safts hinſtroͤmen, du ſollſt ſchrei-
ben, daß man es fuͤhlt, und ſollſt dem wah-
ren Ausdrucke der Empfindung entſagen; du
ſollſt nicht dein Papier mit Thraͤnen benetzen,
daß die Tinte zerfließt, du ſollſt deine ganze
lebendige Seele in todte Buchſtaben hinmah-
len, und parliren, ſtatt auszudruͤcken. —
Hier ſieht man, daß bei dieſer Sprache der
Empfindungen, wo ich nicht ſagen, ſondern
ſprechen muß, daß man mir glaubt, wo ich
nicht ſchreiben, ſondern in die Seele reden
muß, daß es der andre fuͤhlt: daß hier der
eigentliche Ausdruck unabtrennlich ſey. Du
mußt den natuͤrlichen Ausdruck der Em-
pfindung kuͤnſtlich vorſtellen, wie du einen
Wuͤrfel auf der Oberflaͤche zeichneſt; du mußt
den ganzen Ton deiner Empfindung in dem
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/74>, abgerufen am 21.11.2024.
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