Denkart hinaussezt; allein wie schwer wirds sich da hinaus zu sezzen? Und denn kann eine Betrachtung, wenn man sie auch als wahr erkennen sollte, von Jugend auf eingewurzelte Vorurtheile zerstören, die den Erziehern zur andern Natur geworden? Kann eine kalte Wahrheit einem fühllosen Eigensinne Gefühl geben? Kann sie Pedantenseelen so ergreifen, daß sie, wenn sie sich auch in allem Lichte zeiget, ihnen auch den Willen einflößt, nach ihr handeln zu wollen, die Kraft einflößt, nach ihr handeln zu können, die Menschengüte einflößt, wider Gewohnheit und Beispiel nach ihr zu handeln? - - Unterdrückte Genies! Märtrer einer blos lateinischen Erziehung! o könntet ihr alle laut klagen! --
"Was ist denn aber an Genies gelegen?" desto mehr liegt uns an brauchbaren Män- nern. Zu diesen wird eine glückliche Tem- peratur von Gaben und Geschicklichkeiten
erfo-
"dichten zu erklären." u. s. w. Uebrigens schäzze ich diesen Verdienstvollen Mann, und wünsche, daß einige seiner Hoffnungen bald Erfüllungen würden.
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Denkart hinausſezt; allein wie ſchwer wirds ſich da hinaus zu ſezzen? Und denn kann eine Betrachtung, wenn man ſie auch als wahr erkennen ſollte, von Jugend auf eingewurzelte Vorurtheile zerſtoͤren, die den Erziehern zur andern Natur geworden? Kann eine kalte Wahrheit einem fuͤhlloſen Eigenſinne Gefuͤhl geben? Kann ſie Pedantenſeelen ſo ergreifen, daß ſie, wenn ſie ſich auch in allem Lichte zeiget, ihnen auch den Willen einfloͤßt, nach ihr handeln zu wollen, die Kraft einfloͤßt, nach ihr handeln zu koͤnnen, die Menſchenguͤte einfloͤßt, wider Gewohnheit und Beiſpiel nach ihr zu handeln? ‒ ‒ Unterdruͤckte Genies! Maͤrtrer einer blos lateiniſchen Erziehung! o koͤnntet ihr alle laut klagen! —
„Was iſt denn aber an Genies gelegen?„ deſto mehr liegt uns an brauchbaren Maͤn- nern. Zu dieſen wird eine gluͤckliche Tem- peratur von Gaben und Geſchicklichkeiten
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„dichten zu erklaͤren.„ u. ſ. w. Uebrigens ſchaͤzze ich dieſen Verdienſtvollen Mann, und wuͤnſche, daß einige ſeiner Hoffnungen bald Erfuͤllungen wuͤrden.
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Denkart hinausſezt; allein wie ſchwer wirds
ſich da hinaus zu ſezzen? Und denn kann eine
Betrachtung, wenn man ſie auch als wahr
erkennen ſollte, von Jugend auf eingewurzelte
Vorurtheile zerſtoͤren, die den Erziehern zur
andern Natur geworden? Kann eine kalte
Wahrheit einem fuͤhlloſen Eigenſinne Gefuͤhl
geben? Kann ſie Pedantenſeelen ſo ergreifen,
daß ſie, wenn ſie ſich auch in allem Lichte
zeiget, ihnen auch den Willen einfloͤßt, nach
ihr handeln zu wollen, die Kraft einfloͤßt,
nach ihr handeln zu koͤnnen, die Menſchenguͤte
einfloͤßt, wider Gewohnheit und Beiſpiel nach
ihr zu handeln? ‒ ‒ Unterdruͤckte Genies!
Maͤrtrer einer blos lateiniſchen Erziehung!
o koͤnntet ihr alle laut klagen! —
„Was iſt denn aber an Genies gelegen?„
deſto mehr liegt uns an brauchbaren Maͤn-
nern. Zu dieſen wird eine gluͤckliche Tem-
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* „dichten zu erklaͤren.„ u. ſ. w. Uebrigens
ſchaͤzze ich dieſen Verdienſtvollen Mann, und
wuͤnſche, daß einige ſeiner Hoffnungen bald
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/49>, abgerufen am 18.07.2024.
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