frische Luft kömmt. "Der Begrif der Bered- "samkeit aus den Schriftstellern des Alter- "thums, nach welchen man sich auch eine geistli- "che Beredsamkeit ausgedacht, und derselben "ihren Sitz auf unsern ordentlichen Kanzeln "angewiesen hat: scheint in seiner Anwen- "dung so offenbar unrichtig, daß ich mich "über ihren Beifall und Eingang wundern "muß. Der römische und griechische Redner "suchte gar nicht seine Bürger auf ihre Le- "benszeit zu moralisch guten Menschen zu ma- "chen, sondern er wollte sie nur für jetzo zu "einem Entschlusse bringen, der durch erregte "Gemüthsbewegungen am besten gewirkt wer- "den konnte. Wenn also auf jenen Ver- "sammlungsplätzen nur so in die Seelen ge- "donnert ward, daß dieselben für dasmal "nichts anders sehen und denken konnten, als "z. B. die Gefahr von einem macedonischen "Philipp, oder einem Catilina: so hatte "man alles, was man gesucht, und man "ließ ihre übrigen praktischen Grundsäzze so, "wie sie immer seyn mochten. Der christ- "liche Prediger hingegen hat einen ganz an- "dern Zweck, und muß ihn haben. Es
"kömmt
friſche Luft koͤmmt. „Der Begrif der Bered- „ſamkeit aus den Schriftſtellern des Alter- „thums, nach welchen man ſich auch eine geiſtli- „che Beredſamkeit ausgedacht, und derſelben „ihren Sitz auf unſern ordentlichen Kanzeln „angewieſen hat: ſcheint in ſeiner Anwen- „dung ſo offenbar unrichtig, daß ich mich „uͤber ihren Beifall und Eingang wundern „muß. Der roͤmiſche und griechiſche Redner „ſuchte gar nicht ſeine Buͤrger auf ihre Le- „benszeit zu moraliſch guten Menſchen zu ma- „chen, ſondern er wollte ſie nur fuͤr jetzo zu „einem Entſchluſſe bringen, der durch erregte „Gemuͤthsbewegungen am beſten gewirkt wer- „den konnte. Wenn alſo auf jenen Ver- „ſammlungsplaͤtzen nur ſo in die Seelen ge- „donnert ward, daß dieſelben fuͤr dasmal „nichts anders ſehen und denken konnten, als „z. B. die Gefahr von einem macedoniſchen „Philipp, oder einem Catilina: ſo hatte „man alles, was man geſucht, und man „ließ ihre uͤbrigen praktiſchen Grundſaͤzze ſo, „wie ſie immer ſeyn mochten. Der chriſt- „liche Prediger hingegen hat einen ganz an- „dern Zweck, und muß ihn haben. Es
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friſche Luft koͤmmt. „Der Begrif der Bered-
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„thums, nach welchen man ſich auch eine geiſtli-
„che Beredſamkeit ausgedacht, und derſelben
„ihren Sitz auf unſern ordentlichen Kanzeln
„angewieſen hat: ſcheint in ſeiner Anwen-
„dung ſo offenbar unrichtig, daß ich mich
„uͤber ihren Beifall und Eingang wundern
„muß. Der roͤmiſche und griechiſche Redner
„ſuchte gar nicht ſeine Buͤrger auf ihre Le-
„benszeit zu moraliſch guten Menſchen zu ma-
„chen, ſondern er wollte ſie nur fuͤr jetzo zu
„einem Entſchluſſe bringen, der durch erregte
„Gemuͤthsbewegungen am beſten gewirkt wer-
„den konnte. Wenn alſo auf jenen Ver-
„ſammlungsplaͤtzen nur ſo in die Seelen ge-
„donnert ward, daß dieſelben fuͤr dasmal
„nichts anders ſehen und denken konnten, als
„z. B. die Gefahr von einem macedoniſchen
„Philipp, oder einem Catilina: ſo hatte
„man alles, was man geſucht, und man
„ließ ihre uͤbrigen praktiſchen Grundſaͤzze ſo,
„wie ſie immer ſeyn mochten. Der chriſt-
„liche Prediger hingegen hat einen ganz an-
„dern Zweck, und muß ihn haben. Es
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/286>, abgerufen am 04.11.2024.
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