Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

samere Bestimmungen auflöset, alle das
spitzige, aufgestutzte, und concentrirte All-
gemeine, das sich so oft hinter einzelne,
willkührliche
und wissenschaftliche Worte
verbirgt, zu dem glatten, ungeschmückten,
und entwickelnden Tone herabstimmet, der
es voraussezzt, aber nicht zeigt, daß man
wissenschaftlich dachte, daß man für die
Kanzel dachte, daß man selbst einer Bücher-
sprache gewohnt sey. Dieser Ton stielt sich
so wohl dem Gelehrten, als gemeinen Mann
ins Herz, denn es ist die Sprache des ge-
sunden Verstandes,
und fühlenden Her-
zens;
weder die Sprache der niedrigern
Sinne, noch die Sprache der höhern
Vernunft.

Zweitens: da der geistliche Redner nie
mit den Ciceronen und Demosthenen ei-
nerlei Absicht
hat, so können auch ihre
Mittel nie einerlei seyn. Jene wollten das
Volk eine Viertelstunde übertäuben; es war
ihnen gnug, dasselbe auf eine kleine Zeit zu
bezaubern, und ihren Vortrag und Foderung
gleichsam zu dem Element ihrer Gedanken
und ihrer Entschlüsse zu machen, so lange sie

spra-

ſamere Beſtimmungen aufloͤſet, alle das
ſpitzige, aufgeſtutzte, und concentrirte All-
gemeine, das ſich ſo oft hinter einzelne,
willkuͤhrliche
und wiſſenſchaftliche Worte
verbirgt, zu dem glatten, ungeſchmuͤckten,
und entwickelnden Tone herabſtimmet, der
es vorausſezzt, aber nicht zeigt, daß man
wiſſenſchaftlich dachte, daß man fuͤr die
Kanzel dachte, daß man ſelbſt einer Buͤcher-
ſprache gewohnt ſey. Dieſer Ton ſtielt ſich
ſo wohl dem Gelehrten, als gemeinen Mann
ins Herz, denn es iſt die Sprache des ge-
ſunden Verſtandes,
und fuͤhlenden Her-
zens;
weder die Sprache der niedrigern
Sinne, noch die Sprache der hoͤhern
Vernunft.

Zweitens: da der geiſtliche Redner nie
mit den Ciceronen und Demoſthenen ei-
nerlei Abſicht
hat, ſo koͤnnen auch ihre
Mittel nie einerlei ſeyn. Jene wollten das
Volk eine Viertelſtunde uͤbertaͤuben; es war
ihnen gnug, daſſelbe auf eine kleine Zeit zu
bezaubern, und ihren Vortrag und Foderung
gleichſam zu dem Element ihrer Gedanken
und ihrer Entſchluͤſſe zu machen, ſo lange ſie

ſpra-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0284" n="276"/>
&#x017F;amere Be&#x017F;timmungen auflo&#x0364;&#x017F;et, alle das<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;pitzige, aufge&#x017F;tutzte,</hi> und <hi rendition="#fr">concentrirte</hi> All-<lb/>
gemeine, das &#x017F;ich &#x017F;o oft hinter <hi rendition="#fr">einzelne,<lb/>
willku&#x0364;hrliche</hi> und <hi rendition="#fr">wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche</hi> Worte<lb/>
verbirgt, zu dem <hi rendition="#fr">glatten, unge&#x017F;chmu&#x0364;ckten,</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">entwickelnden</hi> Tone herab&#x017F;timmet, der<lb/>
es voraus&#x017F;ezzt, aber nicht zeigt, daß man<lb/><hi rendition="#fr">wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich</hi> dachte, daß man fu&#x0364;r die<lb/><hi rendition="#fr">Kanzel</hi> dachte, daß man &#x017F;elb&#x017F;t einer Bu&#x0364;cher-<lb/>
&#x017F;prache gewohnt &#x017F;ey. Die&#x017F;er Ton &#x017F;tielt &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o wohl dem Gelehrten, als gemeinen Mann<lb/>
ins Herz, denn es i&#x017F;t die Sprache des <hi rendition="#fr">ge-<lb/>
&#x017F;unden Ver&#x017F;tandes,</hi> und <hi rendition="#fr">fu&#x0364;hlenden Her-<lb/>
zens;</hi> weder die Sprache der niedrigern<lb/>
Sinne, noch die Sprache der <hi rendition="#fr">ho&#x0364;hern<lb/>
Vernunft.</hi></p><lb/>
                <p><hi rendition="#fr">Zweitens:</hi> da der gei&#x017F;tliche Redner nie<lb/>
mit den <hi rendition="#fr">Ciceronen</hi> und <hi rendition="#fr">Demo&#x017F;thenen ei-<lb/>
nerlei Ab&#x017F;icht</hi> hat, &#x017F;o ko&#x0364;nnen auch ihre<lb/><hi rendition="#fr">Mittel</hi> nie einerlei &#x017F;eyn. Jene wollten das<lb/>
Volk eine Viertel&#x017F;tunde u&#x0364;berta&#x0364;uben; es war<lb/>
ihnen gnug, da&#x017F;&#x017F;elbe auf eine kleine Zeit zu<lb/>
bezaubern, und ihren Vortrag und Foderung<lb/>
gleich&#x017F;am zu dem Element ihrer Gedanken<lb/>
und ihrer Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu machen, &#x017F;o lange &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;pra-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0284] ſamere Beſtimmungen aufloͤſet, alle das ſpitzige, aufgeſtutzte, und concentrirte All- gemeine, das ſich ſo oft hinter einzelne, willkuͤhrliche und wiſſenſchaftliche Worte verbirgt, zu dem glatten, ungeſchmuͤckten, und entwickelnden Tone herabſtimmet, der es vorausſezzt, aber nicht zeigt, daß man wiſſenſchaftlich dachte, daß man fuͤr die Kanzel dachte, daß man ſelbſt einer Buͤcher- ſprache gewohnt ſey. Dieſer Ton ſtielt ſich ſo wohl dem Gelehrten, als gemeinen Mann ins Herz, denn es iſt die Sprache des ge- ſunden Verſtandes, und fuͤhlenden Her- zens; weder die Sprache der niedrigern Sinne, noch die Sprache der hoͤhern Vernunft. Zweitens: da der geiſtliche Redner nie mit den Ciceronen und Demoſthenen ei- nerlei Abſicht hat, ſo koͤnnen auch ihre Mittel nie einerlei ſeyn. Jene wollten das Volk eine Viertelſtunde uͤbertaͤuben; es war ihnen gnug, daſſelbe auf eine kleine Zeit zu bezaubern, und ihren Vortrag und Foderung gleichſam zu dem Element ihrer Gedanken und ihrer Entſchluͤſſe zu machen, ſo lange ſie ſpra-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/284
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/284>, abgerufen am 21.05.2024.