Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

"hin bringen; aber er muß es erst thun, wenn
"es für den gerichtlichen Sprecher schon ge-
"than ist. -- * Desto schlimmer für solche
"Weltkinder! -- Zugestanden, und diese
"Weltkinder sind der größte Theil der Zuhö-
"rer. Die meisten Seelen entschließen **
"sich nicht eher, bis aller Zwischenraum der
"Zeit von dem Entschlusse bis zur Wirkung
"gleichsam vernichtet ist. Diese Trägheit hat
"sogar dem beredten Apostel einen Triumph
"entrissen. Felix und Drusilla entdeckten,
"daß sie noch wahrscheinlicher Weise Zeit hät-
"ten, neue Vorsäzze zu fassen, und schickten den
"Redner von sich. Dies liegt in der Natur der
"Sache selbst, und keine blos menschliche Kraft
"kann es bei dem undenkenden Haufen über-
"wiegen.

Glei-
* Eben hier trennt sich der politische vom geist-
lichen Redner; dieser fängt an, wo jener auf-
hört: keiner erreichet seinen Zweck wenn sie bei-
de einen Weg nehmen.
** Jmmer entschließen! Jn einem Taumel
von Entschlüssen ist der Zuhörer endlich noch zu
stürzen; wenn das des Homileten Amt wäre;
aber vom Entschluß zur That! die Kluft
überspringt der Kunstrichter, und sie ist die
schädlichste.

„hin bringen; aber er muß es erſt thun, wenn
„es fuͤr den gerichtlichen Sprecher ſchon ge-
„than iſt. — * Deſto ſchlimmer fuͤr ſolche
„Weltkinder! — Zugeſtanden, und dieſe
„Weltkinder ſind der groͤßte Theil der Zuhoͤ-
„rer. Die meiſten Seelen entſchließen **
„ſich nicht eher, bis aller Zwiſchenraum der
„Zeit von dem Entſchluſſe bis zur Wirkung
„gleichſam vernichtet iſt. Dieſe Traͤgheit hat
„ſogar dem beredten Apoſtel einen Triumph
„entriſſen. Felix und Druſilla entdeckten,
„daß ſie noch wahrſcheinlicher Weiſe Zeit haͤt-
„ten, neue Vorſaͤzze zu faſſen, und ſchickten den
„Redner von ſich. Dies liegt in der Natur der
„Sache ſelbſt, und keine blos menſchliche Kraft
„kann es bei dem undenkenden Haufen uͤber-
„wiegen.

Glei-
* Eben hier trennt ſich der politiſche vom geiſt-
lichen Redner; dieſer faͤngt an, wo jener auf-
hoͤrt: keiner erreichet ſeinen Zweck wenn ſie bei-
de einen Weg nehmen.
** Jmmer entſchließen! Jn einem Taumel
von Entſchluͤſſen iſt der Zuhoͤrer endlich noch zu
ſtuͤrzen; wenn das des Homileten Amt waͤre;
aber vom Entſchluß zur That! die Kluft
uͤberſpringt der Kunſtrichter, und ſie iſt die
ſchaͤdlichſte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0278" n="270"/>
&#x201E;hin bringen; aber er muß es er&#x017F;t thun, wenn<lb/>
&#x201E;es fu&#x0364;r den gerichtlichen Sprecher &#x017F;chon ge-<lb/>
&#x201E;than i&#x017F;t. &#x2014; <note place="foot" n="*">Eben hier trennt &#x017F;ich der politi&#x017F;che vom gei&#x017F;t-<lb/>
lichen Redner; die&#x017F;er fa&#x0364;ngt an, wo jener auf-<lb/>
ho&#x0364;rt: keiner erreichet &#x017F;einen Zweck wenn &#x017F;ie bei-<lb/>
de einen Weg nehmen.</note> De&#x017F;to &#x017F;chlimmer fu&#x0364;r &#x017F;olche<lb/>
&#x201E;Weltkinder! &#x2014; Zuge&#x017F;tanden, und die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Weltkinder &#x017F;ind der gro&#x0364;ßte Theil der Zuho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;rer. Die mei&#x017F;ten Seelen ent&#x017F;chließen <note place="foot" n="**">Jmmer ent&#x017F;chließen! Jn einem Taumel<lb/>
von Ent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t der Zuho&#x0364;rer endlich noch zu<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzen; wenn das des Homileten Amt wa&#x0364;re;<lb/>
aber vom <hi rendition="#fr">Ent&#x017F;chluß zur That!</hi> die Kluft<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;pringt der Kun&#x017F;trichter, und &#x017F;ie i&#x017F;t die<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dlich&#x017F;te.</note><lb/>
&#x201E;&#x017F;ich nicht eher, bis aller Zwi&#x017F;chenraum der<lb/>
&#x201E;Zeit von dem Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e bis zur Wirkung<lb/>
&#x201E;gleich&#x017F;am vernichtet i&#x017F;t. Die&#x017F;e Tra&#x0364;gheit hat<lb/>
&#x201E;&#x017F;ogar dem beredten Apo&#x017F;tel einen Triumph<lb/>
&#x201E;entri&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#fr">Felix</hi> und <hi rendition="#fr">Dru&#x017F;illa</hi> entdeckten,<lb/>
&#x201E;daß &#x017F;ie noch wahr&#x017F;cheinlicher Wei&#x017F;e Zeit ha&#x0364;t-<lb/>
&#x201E;ten, neue Vor&#x017F;a&#x0364;zze zu fa&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;chickten den<lb/>
&#x201E;Redner von &#x017F;ich. Dies liegt in der Natur der<lb/>
&#x201E;Sache &#x017F;elb&#x017F;t, und keine blos men&#x017F;chliche Kraft<lb/>
&#x201E;kann es bei dem undenkenden Haufen u&#x0364;ber-<lb/>
&#x201E;wiegen.</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">Glei-</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0278] „hin bringen; aber er muß es erſt thun, wenn „es fuͤr den gerichtlichen Sprecher ſchon ge- „than iſt. — * Deſto ſchlimmer fuͤr ſolche „Weltkinder! — Zugeſtanden, und dieſe „Weltkinder ſind der groͤßte Theil der Zuhoͤ- „rer. Die meiſten Seelen entſchließen ** „ſich nicht eher, bis aller Zwiſchenraum der „Zeit von dem Entſchluſſe bis zur Wirkung „gleichſam vernichtet iſt. Dieſe Traͤgheit hat „ſogar dem beredten Apoſtel einen Triumph „entriſſen. Felix und Druſilla entdeckten, „daß ſie noch wahrſcheinlicher Weiſe Zeit haͤt- „ten, neue Vorſaͤzze zu faſſen, und ſchickten den „Redner von ſich. Dies liegt in der Natur der „Sache ſelbſt, und keine blos menſchliche Kraft „kann es bei dem undenkenden Haufen uͤber- „wiegen. Glei- * Eben hier trennt ſich der politiſche vom geiſt- lichen Redner; dieſer faͤngt an, wo jener auf- hoͤrt: keiner erreichet ſeinen Zweck wenn ſie bei- de einen Weg nehmen. ** Jmmer entſchließen! Jn einem Taumel von Entſchluͤſſen iſt der Zuhoͤrer endlich noch zu ſtuͤrzen; wenn das des Homileten Amt waͤre; aber vom Entſchluß zur That! die Kluft uͤberſpringt der Kunſtrichter, und ſie iſt die ſchaͤdlichſte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/278
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/278>, abgerufen am 18.05.2024.