Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

"und bei Völkern, die erst bekehrt werden sol-
"len, ist dies freilich ganz anders; daher läßt
"sich auch menschlicher Weise die Menge der
"Bekehrten in einem Tage begreifen. Allein,
"wie kann unter uns der Kanzelredner seine
"Materien neu machen? * Es bleibt ihm
"also nur das Jnteresse derselben übrig; und
"dies werde ich doch nicht läugnen? Nein.
"Ohne daß man mir es zu deklamirt, begreife
"ich wohl, daß die Entscheidung über unser
"Wohl oder Elend auf eine Ewigkeit wichti-
"ger sey, als die Entscheidung über Krieg
"und Frieden auf etliche Jahre. Jst sie es
"aber auch nach der Meinung aller Zuhö-
"rer,
und zwar in dem Grade der Lebhaftig-
"keit **, welcher allein den Willen bewegen
"kann? Der Redner kann es vielleicht da-

"hin
* Jch könnte es dem Verf. mit einem Worte
sagen, wenn der Homilet nicht über Worte,
sondern über das menschliche Leben spricht;
allein dies eine Wort fordert zur Erklärung
viel andre.
** Der geistliche Redner hat es selten zum Zweck,
augenblickliche Thaten, Zeitentschlüsse zu erwe-
cken, wo er es zu seiner wirklichen Absicht hat,
kann ers auch erregen.

„und bei Voͤlkern, die erſt bekehrt werden ſol-
„len, iſt dies freilich ganz anders; daher laͤßt
„ſich auch menſchlicher Weiſe die Menge der
„Bekehrten in einem Tage begreifen. Allein,
„wie kann unter uns der Kanzelredner ſeine
„Materien neu machen? * Es bleibt ihm
„alſo nur das Jntereſſe derſelben uͤbrig; und
„dies werde ich doch nicht laͤugnen? Nein.
„Ohne daß man mir es zu deklamirt, begreife
„ich wohl, daß die Entſcheidung uͤber unſer
„Wohl oder Elend auf eine Ewigkeit wichti-
„ger ſey, als die Entſcheidung uͤber Krieg
„und Frieden auf etliche Jahre. Jſt ſie es
„aber auch nach der Meinung aller Zuhoͤ-
„rer,
und zwar in dem Grade der Lebhaftig-
„keit **, welcher allein den Willen bewegen
„kann? Der Redner kann es vielleicht da-

„hin
* Jch koͤnnte es dem Verf. mit einem Worte
ſagen, wenn der Homilet nicht uͤber Worte,
ſondern uͤber das menſchliche Leben ſpricht;
allein dies eine Wort fordert zur Erklaͤrung
viel andre.
** Der geiſtliche Redner hat es ſelten zum Zweck,
augenblickliche Thaten, Zeitentſchluͤſſe zu erwe-
cken, wo er es zu ſeiner wirklichen Abſicht hat,
kann ers auch erregen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0277" n="269"/>
&#x201E;und bei Vo&#x0364;lkern, die er&#x017F;t bekehrt werden &#x017F;ol-<lb/>
&#x201E;len, i&#x017F;t dies freilich ganz anders; daher la&#x0364;ßt<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich auch men&#x017F;chlicher Wei&#x017F;e die Menge der<lb/>
&#x201E;Bekehrten in einem Tage begreifen. Allein,<lb/>
&#x201E;wie kann unter uns der Kanzelredner &#x017F;eine<lb/>
&#x201E;Materien <hi rendition="#fr">neu</hi> machen? <note place="foot" n="*">Jch ko&#x0364;nnte es dem Verf. mit einem Worte<lb/>
&#x017F;agen, wenn der Homilet nicht u&#x0364;ber Worte,<lb/>
&#x017F;ondern u&#x0364;ber das men&#x017F;chliche Leben &#x017F;pricht;<lb/>
allein dies eine Wort fordert zur Erkla&#x0364;rung<lb/>
viel andre.</note> Es bleibt ihm<lb/>
&#x201E;al&#x017F;o nur das <hi rendition="#fr">Jntere&#x017F;&#x017F;e</hi> der&#x017F;elben u&#x0364;brig; und<lb/>
&#x201E;dies werde ich doch nicht la&#x0364;ugnen? Nein.<lb/>
&#x201E;Ohne daß man mir es zu deklamirt, begreife<lb/>
&#x201E;ich wohl, daß die Ent&#x017F;cheidung u&#x0364;ber un&#x017F;er<lb/>
&#x201E;Wohl oder Elend auf eine Ewigkeit wichti-<lb/>
&#x201E;ger &#x017F;ey, als die Ent&#x017F;cheidung u&#x0364;ber Krieg<lb/>
&#x201E;und Frieden auf etliche Jahre. J&#x017F;t &#x017F;ie es<lb/>
&#x201E;aber auch nach der <hi rendition="#fr">Meinung aller Zuho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;rer,</hi> und zwar in dem Grade der Lebhaftig-<lb/>
&#x201E;keit <note place="foot" n="**">Der gei&#x017F;tliche Redner hat es &#x017F;elten zum Zweck,<lb/>
augenblickliche Thaten, Zeitent&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zu erwe-<lb/>
cken, wo er es zu &#x017F;einer wirklichen Ab&#x017F;icht hat,<lb/>
kann ers auch erregen.</note>, welcher allein den Willen bewegen<lb/>
&#x201E;kann? Der Redner kann es vielleicht da-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;hin</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0277] „und bei Voͤlkern, die erſt bekehrt werden ſol- „len, iſt dies freilich ganz anders; daher laͤßt „ſich auch menſchlicher Weiſe die Menge der „Bekehrten in einem Tage begreifen. Allein, „wie kann unter uns der Kanzelredner ſeine „Materien neu machen? * Es bleibt ihm „alſo nur das Jntereſſe derſelben uͤbrig; und „dies werde ich doch nicht laͤugnen? Nein. „Ohne daß man mir es zu deklamirt, begreife „ich wohl, daß die Entſcheidung uͤber unſer „Wohl oder Elend auf eine Ewigkeit wichti- „ger ſey, als die Entſcheidung uͤber Krieg „und Frieden auf etliche Jahre. Jſt ſie es „aber auch nach der Meinung aller Zuhoͤ- „rer, und zwar in dem Grade der Lebhaftig- „keit **, welcher allein den Willen bewegen „kann? Der Redner kann es vielleicht da- „hin * Jch koͤnnte es dem Verf. mit einem Worte ſagen, wenn der Homilet nicht uͤber Worte, ſondern uͤber das menſchliche Leben ſpricht; allein dies eine Wort fordert zur Erklaͤrung viel andre. ** Der geiſtliche Redner hat es ſelten zum Zweck, augenblickliche Thaten, Zeitentſchluͤſſe zu erwe- cken, wo er es zu ſeiner wirklichen Abſicht hat, kann ers auch erregen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/277
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/277>, abgerufen am 18.05.2024.