Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle Gedanken, die ins Groteske fallen *,
allzuhäufige O und Ach und Weh! Verwün-
schungen, die Abscheu erregen, zu heftige
Betheurungen seines Schmerzes tödten die
Elegie. Die erstern erwecken Gelächter; die
andern sind entweder Zeichen einer allzuhefti-
gen Traurigkeit, oder eines gänzlichen Man-
gels der Empfindung, die dritten bedeuten
mehr Wuth und Kummer, und die letztern
sind entweder verdächtig oder überflüßig. Die
Traurigkeit muß sich durch die Reihe von
Gedanken, auf die der Dichter verfällt, an
den Tag legen. Vor allen Dingen muß der
elegische Dichter die kleinsten Umstände **,

die
gezwungen, einige Wiederholungen zu todt,
und manches O und Ach! ein Asteriscus, der
da sagt: hier ist zu gähnen!
* Wenn jener Elegiensänger dem, der nicht mit
ihm weint, den Cypressenstrauch ins Gesicht
werfen will: so muß man sich vor ihm hüten,
weil, wenn unsre Augen sich thränend schlies-
sen, und unsre Thränen ihm nur nicht kugel-
rund gnug sind, wir nicht vor einem Wurf
sicher seyn möchten.
** Man erinnere sich hier an das Lied unter
Langens Gedichten, da alles ein Zeuge vom
Ver-
Q 5

Alle Gedanken, die ins Groteske fallen *,
allzuhaͤufige O und Ach und Weh! Verwuͤn-
ſchungen, die Abſcheu erregen, zu heftige
Betheurungen ſeines Schmerzes toͤdten die
Elegie. Die erſtern erwecken Gelaͤchter; die
andern ſind entweder Zeichen einer allzuhefti-
gen Traurigkeit, oder eines gaͤnzlichen Man-
gels der Empfindung, die dritten bedeuten
mehr Wuth und Kummer, und die letztern
ſind entweder verdaͤchtig oder uͤberfluͤßig. Die
Traurigkeit muß ſich durch die Reihe von
Gedanken, auf die der Dichter verfaͤllt, an
den Tag legen. Vor allen Dingen muß der
elegiſche Dichter die kleinſten Umſtaͤnde **,

die
gezwungen, einige Wiederholungen zu todt,
und manches O und Ach! ein Aſteriſcus, der
da ſagt: hier iſt zu gaͤhnen!
* Wenn jener Elegienſaͤnger dem, der nicht mit
ihm weint, den Cypreſſenſtrauch ins Geſicht
werfen will: ſo muß man ſich vor ihm huͤten,
weil, wenn unſre Augen ſich thraͤnend ſchlieſ-
ſen, und unſre Thraͤnen ihm nur nicht kugel-
rund gnug ſind, wir nicht vor einem Wurf
ſicher ſeyn moͤchten.
** Man erinnere ſich hier an das Lied unter
Langens Gedichten, da alles ein Zeuge vom
Ver-
Q 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0257" n="249"/>
                <p>Alle Gedanken, die ins Groteske fallen <note place="foot" n="*">Wenn jener Elegien&#x017F;a&#x0364;nger dem, der nicht mit<lb/>
ihm weint, den Cypre&#x017F;&#x017F;en&#x017F;trauch ins Ge&#x017F;icht<lb/>
werfen will: &#x017F;o muß man &#x017F;ich vor ihm hu&#x0364;ten,<lb/>
weil, wenn un&#x017F;re Augen &#x017F;ich thra&#x0364;nend &#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, und un&#x017F;re Thra&#x0364;nen ihm nur nicht kugel-<lb/>
rund gnug &#x017F;ind, wir nicht vor einem Wurf<lb/>
&#x017F;icher &#x017F;eyn mo&#x0364;chten.</note>,<lb/>
allzuha&#x0364;ufige O und Ach und Weh! Verwu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;chungen, die Ab&#x017F;cheu erregen, zu heftige<lb/>
Betheurungen &#x017F;eines Schmerzes to&#x0364;dten die<lb/>
Elegie. Die er&#x017F;tern erwecken Gela&#x0364;chter; die<lb/>
andern &#x017F;ind entweder Zeichen einer allzuhefti-<lb/>
gen Traurigkeit, oder eines ga&#x0364;nzlichen Man-<lb/>
gels der Empfindung, die dritten bedeuten<lb/>
mehr Wuth und Kummer, und die letztern<lb/>
&#x017F;ind entweder verda&#x0364;chtig oder u&#x0364;berflu&#x0364;ßig. Die<lb/>
Traurigkeit muß &#x017F;ich durch die Reihe von<lb/>
Gedanken, auf die der Dichter verfa&#x0364;llt, an<lb/>
den Tag legen. Vor allen Dingen muß der<lb/>
elegi&#x017F;che Dichter die klein&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde <note xml:id="seg2pn_23_1" next="#seg2pn_23_2" place="foot" n="**">Man erinnere &#x017F;ich hier an das Lied unter<lb/><hi rendition="#fr">Langens</hi> Gedichten, da alles ein Zeuge vom<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw></note>,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 5</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_22_2" prev="#seg2pn_22_1" place="foot" n="**">gezwungen, einige Wiederholungen zu todt,<lb/>
und manches O und Ach! ein A&#x017F;teri&#x017F;cus, der<lb/>
da &#x017F;agt: hier i&#x017F;t zu ga&#x0364;hnen!</note><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[249/0257] Alle Gedanken, die ins Groteske fallen *, allzuhaͤufige O und Ach und Weh! Verwuͤn- ſchungen, die Abſcheu erregen, zu heftige Betheurungen ſeines Schmerzes toͤdten die Elegie. Die erſtern erwecken Gelaͤchter; die andern ſind entweder Zeichen einer allzuhefti- gen Traurigkeit, oder eines gaͤnzlichen Man- gels der Empfindung, die dritten bedeuten mehr Wuth und Kummer, und die letztern ſind entweder verdaͤchtig oder uͤberfluͤßig. Die Traurigkeit muß ſich durch die Reihe von Gedanken, auf die der Dichter verfaͤllt, an den Tag legen. Vor allen Dingen muß der elegiſche Dichter die kleinſten Umſtaͤnde **, die ** * Wenn jener Elegienſaͤnger dem, der nicht mit ihm weint, den Cypreſſenſtrauch ins Geſicht werfen will: ſo muß man ſich vor ihm huͤten, weil, wenn unſre Augen ſich thraͤnend ſchlieſ- ſen, und unſre Thraͤnen ihm nur nicht kugel- rund gnug ſind, wir nicht vor einem Wurf ſicher ſeyn moͤchten. ** Man erinnere ſich hier an das Lied unter Langens Gedichten, da alles ein Zeuge vom Ver- ** gezwungen, einige Wiederholungen zu todt, und manches O und Ach! ein Aſteriſcus, der da ſagt: hier iſt zu gaͤhnen! Q 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/257
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/257>, abgerufen am 18.05.2024.