Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.weder unser Vaterland, oder unsre Geburts- sonst Dichter, der jetzt die Geißel des Satyrs ver-
achtet, auf diese Furie mit dem Grimme der schäumenden Pythisse. Er sieht die Erde rings um sich, als ein weites Grabmaal, entweiht, von Verbrechen rauchend, von Brüderblut und Frevel bedeckt, von einer gistigen schwar- zen Atmosphäre umflossen, ein großer Garten voll Unkraut, und gistiger vielklauichten Pla- gethiere, die unter demselben kriechen, eine Einöde, wo die Sonne, wie Apoll unter den Griechen, mit jedem feurigen Stral einen Pfeil des Verderbens sendet, wo das Geschrei der Laster die hinüberziehenden Donnerwolken herunterzicht, daß sie treffen -- Bei diesem Elende wirst der Dichter seine thränende sanft- wimmernde Leyer weg, sein Helikon wird ein Ebal des Fluchs: seine Klagen werden so schwere Lieder, wie die Lasten der propheti- schen Weißagungen im alten Testament, wie die Klagen Youngs an verschiednen Orten, wie die Strafoden z. E. das Ende der dritten horazischen: audax omnia perpeti u. s. w. -- Kurz! die Aussicht über das allgemeine Elend ist entweder zu kalt, um Elegien zu weinen; oder sie wird von einzelnem Elende erzeugt, und unterhalten, und der Schmerz muß weder unſer Vaterland, oder unſre Geburts- ſonſt Dichter, der jetzt die Geißel des Satyrs ver-
achtet, auf dieſe Furie mit dem Grimme der ſchaͤumenden Pythiſſe. Er ſieht die Erde rings um ſich, als ein weites Grabmaal, entweiht, von Verbrechen rauchend, von Bruͤderblut und Frevel bedeckt, von einer giſtigen ſchwar- zen Atmoſphaͤre umfloſſen, ein großer Garten voll Unkraut, und giſtiger vielklauichten Pla- gethiere, die unter demſelben kriechen, eine Einoͤde, wo die Sonne, wie Apoll unter den Griechen, mit jedem feurigen Stral einen Pfeil des Verderbens ſendet, wo das Geſchrei der Laſter die hinuͤberziehenden Donnerwolken herunterzicht, daß ſie treffen — Bei dieſem Elende wirſt der Dichter ſeine thraͤnende ſanft- wimmernde Leyer weg, ſein Helikon wird ein Ebal des Fluchs: ſeine Klagen werden ſo ſchwere Lieder, wie die Laſten der propheti- ſchen Weißagungen im alten Teſtament, wie die Klagen Youngs an verſchiednen Orten, wie die Strafoden z. E. das Ende der dritten horaziſchen: audax omnia perpeti u. ſ. w. — Kurz! die Ausſicht uͤber das allgemeine Elend iſt entweder zu kalt, um Elegien zu weinen; oder ſie wird von einzelnem Elende erzeugt, und unterhalten, und der Schmerz muß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0238" n="230"/> weder unſer Vaterland, oder unſre Geburts-<lb/> ſtadt, oder das Land unſrer Vorfahren, oder<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſonſt</fw><lb/><note next="#seg2pn_12_5" xml:id="seg2pn_12_4" prev="#seg2pn_12_3" place="foot" n="*">Dichter, der jetzt die Geißel des Satyrs ver-<lb/> achtet, auf dieſe Furie mit dem Grimme der<lb/> ſchaͤumenden Pythiſſe. Er ſieht die Erde rings<lb/> um ſich, als ein weites Grabmaal, entweiht,<lb/> von Verbrechen rauchend, von Bruͤderblut<lb/> und Frevel bedeckt, von einer giſtigen ſchwar-<lb/> zen Atmoſphaͤre umfloſſen, ein großer Garten<lb/> voll Unkraut, und giſtiger vielklauichten Pla-<lb/> gethiere, die unter demſelben kriechen, eine<lb/> Einoͤde, wo die Sonne, wie Apoll unter den<lb/> Griechen, mit jedem feurigen Stral einen<lb/> Pfeil des Verderbens ſendet, wo das Geſchrei<lb/> der Laſter die hinuͤberziehenden Donnerwolken<lb/> herunterzicht, daß ſie treffen — Bei dieſem<lb/> Elende wirſt der Dichter ſeine thraͤnende ſanft-<lb/> wimmernde Leyer weg, ſein Helikon wird ein<lb/> Ebal des Fluchs: ſeine Klagen werden ſo<lb/> ſchwere Lieder, wie die <hi rendition="#fr">Laſten</hi> der propheti-<lb/> ſchen Weißagungen im alten Teſtament, wie<lb/> die Klagen Youngs an verſchiednen Orten,<lb/> wie die Strafoden z. E. das Ende der dritten<lb/> horaziſchen: <hi rendition="#aq">audax omnia perpeti</hi> u. ſ. w. —<lb/> Kurz! die Ausſicht uͤber das <hi rendition="#fr">allgemeine</hi><lb/> Elend iſt entweder zu kalt, um Elegien zu<lb/> weinen; oder ſie wird von einzelnem Elende<lb/> erzeugt, und unterhalten, und der Schmerz<lb/> <fw place="bottom" type="catch">muß</fw></note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0238]
weder unſer Vaterland, oder unſre Geburts-
ſtadt, oder das Land unſrer Vorfahren, oder
ſonſt
*
* Dichter, der jetzt die Geißel des Satyrs ver-
achtet, auf dieſe Furie mit dem Grimme der
ſchaͤumenden Pythiſſe. Er ſieht die Erde rings
um ſich, als ein weites Grabmaal, entweiht,
von Verbrechen rauchend, von Bruͤderblut
und Frevel bedeckt, von einer giſtigen ſchwar-
zen Atmoſphaͤre umfloſſen, ein großer Garten
voll Unkraut, und giſtiger vielklauichten Pla-
gethiere, die unter demſelben kriechen, eine
Einoͤde, wo die Sonne, wie Apoll unter den
Griechen, mit jedem feurigen Stral einen
Pfeil des Verderbens ſendet, wo das Geſchrei
der Laſter die hinuͤberziehenden Donnerwolken
herunterzicht, daß ſie treffen — Bei dieſem
Elende wirſt der Dichter ſeine thraͤnende ſanft-
wimmernde Leyer weg, ſein Helikon wird ein
Ebal des Fluchs: ſeine Klagen werden ſo
ſchwere Lieder, wie die Laſten der propheti-
ſchen Weißagungen im alten Teſtament, wie
die Klagen Youngs an verſchiednen Orten,
wie die Strafoden z. E. das Ende der dritten
horaziſchen: audax omnia perpeti u. ſ. w. —
Kurz! die Ausſicht uͤber das allgemeine
Elend iſt entweder zu kalt, um Elegien zu
weinen; oder ſie wird von einzelnem Elende
erzeugt, und unterhalten, und der Schmerz
muß
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |