Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

benachbarten Barbarei, welche der Römischen
Wuth entronnen sind: so wirst du vielleicht
diese Bardische Barbarei mit andern Augen
anzusehen anfangen, als du sie gemeiniglich
sahest: du wirst zweifeln!

Jetzt denke weiter! Kein größerer Schade
kann einer Nation zugefüget werden, als
wenn man ihr den Nationalcharakter, die
Eigenheit ihres Geistes, und ihrer Sprache
raubt: überdenke dies, und du wirst den un-
ersezlichen Schaden sehen. Nun suche in
Deutschland den Charakter der Nation, den
ihnen eignen Ton der Denkart, die wahre
Laune ihrer Sprache: wo sind sie? -- Lies
Tacitus, da findest du ihren Charakter: "die
"Völker Deutschlands, die sich durch keine
"Vermischung mit andern entadelt, sind eine
"eigne, unverfälschte originale Nation, die
"von sich selbst das Urbild ist. Selbst die
"Bildung ihres Körpers, ist in einer so gros-
"sen Menge Volks, noch bei allen gleich:
"u.s.w." Nun siehe dich um, und sage: "die
"Völker Deutschlands sind durch die Vermi-
"schung mit andern entadelt, haben durch
"eine langwierige Knechtschaft im Denken,

"ganz

benachbarten Barbarei, welche der Roͤmiſchen
Wuth entronnen ſind: ſo wirſt du vielleicht
dieſe Bardiſche Barbarei mit andern Augen
anzuſehen anfangen, als du ſie gemeiniglich
ſaheſt: du wirſt zweifeln!

Jetzt denke weiter! Kein groͤßerer Schade
kann einer Nation zugefuͤget werden, als
wenn man ihr den Nationalcharakter, die
Eigenheit ihres Geiſtes, und ihrer Sprache
raubt: uͤberdenke dies, und du wirſt den un-
erſezlichen Schaden ſehen. Nun ſuche in
Deutſchland den Charakter der Nation, den
ihnen eignen Ton der Denkart, die wahre
Laune ihrer Sprache: wo ſind ſie? — Lies
Tacitus, da findeſt du ihren Charakter: „die
„Voͤlker Deutſchlands, die ſich durch keine
„Vermiſchung mit andern entadelt, ſind eine
„eigne, unverfaͤlſchte originale Nation, die
„von ſich ſelbſt das Urbild iſt. Selbſt die
„Bildung ihres Koͤrpers, iſt in einer ſo groſ-
„ſen Menge Volks, noch bei allen gleich:
„u.ſ.w.„ Nun ſiehe dich um, und ſage: „die
„Voͤlker Deutſchlands ſind durch die Vermi-
„ſchung mit andern entadelt, haben durch
„eine langwierige Knechtſchaft im Denken,

„ganz
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0021" n="13"/>
benachbarten Barbarei, welche der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Wuth entronnen &#x017F;ind: &#x017F;o wir&#x017F;t du vielleicht<lb/>
die&#x017F;e Bardi&#x017F;che Barbarei mit andern Augen<lb/>
anzu&#x017F;ehen anfangen, als du &#x017F;ie gemeiniglich<lb/>
&#x017F;ahe&#x017F;t: du wir&#x017F;t zweifeln!</p><lb/>
                <p>Jetzt denke weiter! Kein gro&#x0364;ßerer Schade<lb/>
kann einer Nation zugefu&#x0364;get werden, als<lb/>
wenn man ihr den <hi rendition="#fr">Nationalcharakter,</hi> die<lb/><hi rendition="#fr">Eigenheit ihres Gei&#x017F;tes,</hi> und <hi rendition="#fr">ihrer Sprache</hi><lb/>
raubt: u&#x0364;berdenke dies, und du wir&#x017F;t den un-<lb/>
er&#x017F;ezlichen Schaden &#x017F;ehen. Nun &#x017F;uche in<lb/>
Deut&#x017F;chland den Charakter der Nation, den<lb/>
ihnen eignen Ton der Denkart, die wahre<lb/>
Laune ihrer Sprache: wo &#x017F;ind &#x017F;ie? &#x2014; Lies<lb/>
Tacitus, da finde&#x017F;t du ihren Charakter: &#x201E;die<lb/>
&#x201E;Vo&#x0364;lker Deut&#x017F;chlands, die &#x017F;ich durch keine<lb/>
&#x201E;Vermi&#x017F;chung mit andern entadelt, &#x017F;ind eine<lb/>
&#x201E;eigne, unverfa&#x0364;l&#x017F;chte originale Nation, die<lb/>
&#x201E;von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t das Urbild i&#x017F;t. Selb&#x017F;t die<lb/>
&#x201E;Bildung ihres Ko&#x0364;rpers, i&#x017F;t in einer &#x017F;o gro&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en Menge Volks, noch bei allen gleich:<lb/>
&#x201E;u.&#x017F;.w.&#x201E; Nun &#x017F;iehe dich um, und &#x017F;age: &#x201E;die<lb/>
&#x201E;Vo&#x0364;lker Deut&#x017F;chlands &#x017F;ind durch die Vermi-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chung mit andern entadelt, haben durch<lb/>
&#x201E;eine langwierige Knecht&#x017F;chaft im Denken,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ganz</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0021] benachbarten Barbarei, welche der Roͤmiſchen Wuth entronnen ſind: ſo wirſt du vielleicht dieſe Bardiſche Barbarei mit andern Augen anzuſehen anfangen, als du ſie gemeiniglich ſaheſt: du wirſt zweifeln! Jetzt denke weiter! Kein groͤßerer Schade kann einer Nation zugefuͤget werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenheit ihres Geiſtes, und ihrer Sprache raubt: uͤberdenke dies, und du wirſt den un- erſezlichen Schaden ſehen. Nun ſuche in Deutſchland den Charakter der Nation, den ihnen eignen Ton der Denkart, die wahre Laune ihrer Sprache: wo ſind ſie? — Lies Tacitus, da findeſt du ihren Charakter: „die „Voͤlker Deutſchlands, die ſich durch keine „Vermiſchung mit andern entadelt, ſind eine „eigne, unverfaͤlſchte originale Nation, die „von ſich ſelbſt das Urbild iſt. Selbſt die „Bildung ihres Koͤrpers, iſt in einer ſo groſ- „ſen Menge Volks, noch bei allen gleich: „u.ſ.w.„ Nun ſiehe dich um, und ſage: „die „Voͤlker Deutſchlands ſind durch die Vermi- „ſchung mit andern entadelt, haben durch „eine langwierige Knechtſchaft im Denken, „ganz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/21
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/21>, abgerufen am 20.04.2024.