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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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faule Sumpfader ewige Figuren: sie härten
sich, werden polirt, ihnen wird nachgeholfen,
und nun findet ein Thor in ihnen, weise Spie-
le der Natur, vortreffliche Risse der Kunst,
Schönheiten, die zum wirklichen Wesen des
Marmors gehören sollen.

Wie aber? Jst nicht dies Labyrinth durch
die christliche Barbarei immer noch ein Richt-
steig gewesen zum Tage, zur Mittagssonne?
Wie wenn Deutschland seinem natürlichen
Fortgange der Kultur überlassen geblieben
wäre, sollte es denn durch sich selbst, in
so kurzer Zeit, so hoch gekommen seyn, als
es ist? Die fremde Zumischung von Hefen
war eben ein Gährungsmittel, es zu reini-
gen: hätte es sich selbst klären sollen, es stünde
noch trübe. -- "Jch habe so wenig Macht,
alles dies völlig zu läugnen, als der andre,
es völlig zu behaupten: Weißt du denn, ob
die Römische Barbarei dir in Betracht der
Bardischen Barbarei, raubte, oder zubrachte:
ob sie mehr niederriß, oder besser bauete? --
Und siehe! sie hat dir alles so weit geraubt,
daß du nicht einmal urtheilen kannst: indes-
sen besiehe die einzelnen Ueberbleibsel einiger

benach-

faule Sumpfader ewige Figuren: ſie haͤrten
ſich, werden polirt, ihnen wird nachgeholfen,
und nun findet ein Thor in ihnen, weiſe Spie-
le der Natur, vortreffliche Riſſe der Kunſt,
Schoͤnheiten, die zum wirklichen Weſen des
Marmors gehoͤren ſollen.

Wie aber? Jſt nicht dies Labyrinth durch
die chriſtliche Barbarei immer noch ein Richt-
ſteig geweſen zum Tage, zur Mittagsſonne?
Wie wenn Deutſchland ſeinem natuͤrlichen
Fortgange der Kultur uͤberlaſſen geblieben
waͤre, ſollte es denn durch ſich ſelbſt, in
ſo kurzer Zeit, ſo hoch gekommen ſeyn, als
es iſt? Die fremde Zumiſchung von Hefen
war eben ein Gaͤhrungsmittel, es zu reini-
gen: haͤtte es ſich ſelbſt klaͤren ſollen, es ſtuͤnde
noch truͤbe. — „Jch habe ſo wenig Macht,
alles dies voͤllig zu laͤugnen, als der andre,
es voͤllig zu behaupten: Weißt du denn, ob
die Roͤmiſche Barbarei dir in Betracht der
Bardiſchen Barbarei, raubte, oder zubrachte:
ob ſie mehr niederriß, oder beſſer bauete? —
Und ſiehe! ſie hat dir alles ſo weit geraubt,
daß du nicht einmal urtheilen kannſt: indeſ-
ſen beſiehe die einzelnen Ueberbleibſel einiger

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[12/0020] faule Sumpfader ewige Figuren: ſie haͤrten ſich, werden polirt, ihnen wird nachgeholfen, und nun findet ein Thor in ihnen, weiſe Spie- le der Natur, vortreffliche Riſſe der Kunſt, Schoͤnheiten, die zum wirklichen Weſen des Marmors gehoͤren ſollen. Wie aber? Jſt nicht dies Labyrinth durch die chriſtliche Barbarei immer noch ein Richt- ſteig geweſen zum Tage, zur Mittagsſonne? Wie wenn Deutſchland ſeinem natuͤrlichen Fortgange der Kultur uͤberlaſſen geblieben waͤre, ſollte es denn durch ſich ſelbſt, in ſo kurzer Zeit, ſo hoch gekommen ſeyn, als es iſt? Die fremde Zumiſchung von Hefen war eben ein Gaͤhrungsmittel, es zu reini- gen: haͤtte es ſich ſelbſt klaͤren ſollen, es ſtuͤnde noch truͤbe. — „Jch habe ſo wenig Macht, alles dies voͤllig zu laͤugnen, als der andre, es voͤllig zu behaupten: Weißt du denn, ob die Roͤmiſche Barbarei dir in Betracht der Bardiſchen Barbarei, raubte, oder zubrachte: ob ſie mehr niederriß, oder beſſer bauete? — Und ſiehe! ſie hat dir alles ſo weit geraubt, daß du nicht einmal urtheilen kannſt: indeſ- ſen beſiehe die einzelnen Ueberbleibſel einiger benach-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/20>, abgerufen am 25.04.2024.