Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst ein Schwätzer ist, denn so bitter ver-
argen, wenn sein Vortrag sich unter eine Last
lateinischer Litteratur gekrümmt, sich müh-
sam fortziehet. Freilich wäre seine Ge-
schichte der Glaubenslehren
ein andres
Werk, wenn man sie in das natürliche Deutsch
einer Winkelmannschen Geschichte der
Kunst
übersezzte: aber beklaget sie vielmehr,
die Baumgartens, die Semler, die Heil-
manns,
daß sie nach der Lage der Gelehr-
samkeit zu ihrer Größe kaum gelangen konn-
ten, ohne einigen Zwang von ihren weitläuf-
tigen Wanderungen anzunehmen. Man spot-
tet so häufig über den akademischen Styl in
Paragraph langen Perioden: man hat Recht,
ihn zu tadeln: aber die eisernen Ketten, unter
denen er einherschleicht, sind freilich oft ge-
schraubte Mühsamkeit, oft aber offenbar aus
dem Lateinischen übertragen.

Ferner: es sind in dem Anblick der Wis-
senschaften und der Weltweisheit vielleicht
fremde Vorstellungsarten, und Gesichtspunkte,
aus fernen Völkern, Zeiten, und Situa-
tionen:
die uns nicht mehr wundern, weil

man

ſelbſt ein Schwaͤtzer iſt, denn ſo bitter ver-
argen, wenn ſein Vortrag ſich unter eine Laſt
lateiniſcher Litteratur gekruͤmmt, ſich muͤh-
ſam fortziehet. Freilich waͤre ſeine Ge-
ſchichte der Glaubenslehren
ein andres
Werk, wenn man ſie in das natuͤrliche Deutſch
einer Winkelmannſchen Geſchichte der
Kunſt
uͤberſezzte: aber beklaget ſie vielmehr,
die Baumgartens, die Semler, die Heil-
manns,
daß ſie nach der Lage der Gelehr-
ſamkeit zu ihrer Groͤße kaum gelangen konn-
ten, ohne einigen Zwang von ihren weitlaͤuf-
tigen Wanderungen anzunehmen. Man ſpot-
tet ſo haͤufig uͤber den akademiſchen Styl in
Paragraph langen Perioden: man hat Recht,
ihn zu tadeln: aber die eiſernen Ketten, unter
denen er einherſchleicht, ſind freilich oft ge-
ſchraubte Muͤhſamkeit, oft aber offenbar aus
dem Lateiniſchen uͤbertragen.

Ferner: es ſind in dem Anblick der Wiſ-
ſenſchaften und der Weltweisheit vielleicht
fremde Vorſtellungsarten, und Geſichtspunkte,
aus fernen Voͤlkern, Zeiten, und Situa-
tionen:
die uns nicht mehr wundern, weil

man
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0128" n="120"/>
&#x017F;elb&#x017F;t ein Schwa&#x0364;tzer i&#x017F;t, denn &#x017F;o bitter ver-<lb/>
argen, wenn &#x017F;ein Vortrag &#x017F;ich unter eine La&#x017F;t<lb/>
lateini&#x017F;cher Litteratur gekru&#x0364;mmt, &#x017F;ich mu&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;am fortziehet. Freilich wa&#x0364;re &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Ge-<lb/>
&#x017F;chichte der Glaubenslehren</hi> ein andres<lb/>
Werk, wenn man &#x017F;ie in das natu&#x0364;rliche Deut&#x017F;ch<lb/>
einer <hi rendition="#fr">Winkelmann&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte der<lb/>
Kun&#x017F;t</hi> u&#x0364;ber&#x017F;ezzte: aber beklaget &#x017F;ie vielmehr,<lb/>
die <hi rendition="#fr">Baumgartens,</hi> die <hi rendition="#fr">Semler,</hi> die <hi rendition="#fr">Heil-<lb/>
manns,</hi> daß &#x017F;ie nach der Lage der Gelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit zu ihrer Gro&#x0364;ße kaum gelangen konn-<lb/>
ten, ohne einigen Zwang von ihren weitla&#x0364;uf-<lb/>
tigen Wanderungen anzunehmen. Man &#x017F;pot-<lb/>
tet &#x017F;o ha&#x0364;ufig u&#x0364;ber den akademi&#x017F;chen Styl in<lb/>
Paragraph langen Perioden: man hat Recht,<lb/>
ihn zu tadeln: aber die ei&#x017F;ernen Ketten, unter<lb/>
denen er einher&#x017F;chleicht, &#x017F;ind freilich oft ge-<lb/>
&#x017F;chraubte Mu&#x0364;h&#x017F;amkeit, oft aber offenbar aus<lb/>
dem Lateini&#x017F;chen u&#x0364;bertragen.</p><lb/>
                <p>Ferner: es &#x017F;ind in dem Anblick der Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften und der Weltweisheit vielleicht<lb/>
fremde Vor&#x017F;tellungsarten, und Ge&#x017F;ichtspunkte,<lb/>
aus fernen <hi rendition="#fr">Vo&#x0364;lkern, Zeiten,</hi> und <hi rendition="#fr">Situa-<lb/>
tionen:</hi> die uns nicht mehr wundern, weil<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0128] ſelbſt ein Schwaͤtzer iſt, denn ſo bitter ver- argen, wenn ſein Vortrag ſich unter eine Laſt lateiniſcher Litteratur gekruͤmmt, ſich muͤh- ſam fortziehet. Freilich waͤre ſeine Ge- ſchichte der Glaubenslehren ein andres Werk, wenn man ſie in das natuͤrliche Deutſch einer Winkelmannſchen Geſchichte der Kunſt uͤberſezzte: aber beklaget ſie vielmehr, die Baumgartens, die Semler, die Heil- manns, daß ſie nach der Lage der Gelehr- ſamkeit zu ihrer Groͤße kaum gelangen konn- ten, ohne einigen Zwang von ihren weitlaͤuf- tigen Wanderungen anzunehmen. Man ſpot- tet ſo haͤufig uͤber den akademiſchen Styl in Paragraph langen Perioden: man hat Recht, ihn zu tadeln: aber die eiſernen Ketten, unter denen er einherſchleicht, ſind freilich oft ge- ſchraubte Muͤhſamkeit, oft aber offenbar aus dem Lateiniſchen uͤbertragen. Ferner: es ſind in dem Anblick der Wiſ- ſenſchaften und der Weltweisheit vielleicht fremde Vorſtellungsarten, und Geſichtspunkte, aus fernen Voͤlkern, Zeiten, und Situa- tionen: die uns nicht mehr wundern, weil man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/128
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/128>, abgerufen am 06.05.2024.