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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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man uns gleich von Anfange der Unterwei-
sung in sie gleichsam eintaucht, die aber ei-
nem Kopfe, der die Litteratur als Fremdling
studiret, so fremde und buntschäckig vorkom-
men, als in dem altgalanten Stil die lateini-
schen Wörter. Diese entfernte und veraltete
Vorstellungsarten geben dem Ganzen des
Vortrages die Mine des Gelernten: sie
öffnen dem gelehrten Psittacismus die Thüre,
der sich ihnen bequemt, und Worte nachplau-
dert. Sie sinds eben, die den Bücherphi-
losophen von der Weisheit des Lebens getrennt,
da er sich doch auf sie mächtig stüzzen, und
jederzeit von ihr ausgehen sollte, um nachher
seine eigne Sphäre zeitig genug zu finden. Sie
sinds, die den philosophischen Magisterton
aufgebracht, der Ballast, statt Gold führet,
und von Weisheit strotzet, die nicht eine ein-
ladende Mine hat. Welch ein Unterschied
zwischen einem Moses und Kölbele.

Ohne Zweifel ist auch selbst zu Lehrbüchern
die Sprache des gesunden Verstandes die
beste, die sich gelegentlich der wissenschaftli-
chen Vernunft mitzutheilen weiß. Es führet

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man uns gleich von Anfange der Unterwei-
ſung in ſie gleichſam eintaucht, die aber ei-
nem Kopfe, der die Litteratur als Fremdling
ſtudiret, ſo fremde und buntſchaͤckig vorkom-
men, als in dem altgalanten Stil die lateini-
ſchen Woͤrter. Dieſe entfernte und veraltete
Vorſtellungsarten geben dem Ganzen des
Vortrages die Mine des Gelernten: ſie
oͤffnen dem gelehrten Pſittaciſmus die Thuͤre,
der ſich ihnen bequemt, und Worte nachplau-
dert. Sie ſinds eben, die den Buͤcherphi-
loſophen von der Weisheit des Lebens getrennt,
da er ſich doch auf ſie maͤchtig ſtuͤzzen, und
jederzeit von ihr ausgehen ſollte, um nachher
ſeine eigne Sphaͤre zeitig genug zu finden. Sie
ſinds, die den philoſophiſchen Magiſterton
aufgebracht, der Ballaſt, ſtatt Gold fuͤhret,
und von Weisheit ſtrotzet, die nicht eine ein-
ladende Mine hat. Welch ein Unterſchied
zwiſchen einem Moſes und Koͤlbele.

Ohne Zweifel iſt auch ſelbſt zu Lehrbuͤchern
die Sprache des geſunden Verſtandes die
beſte, die ſich gelegentlich der wiſſenſchaftli-
chen Vernunft mitzutheilen weiß. Es fuͤhret

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[121/0129] man uns gleich von Anfange der Unterwei- ſung in ſie gleichſam eintaucht, die aber ei- nem Kopfe, der die Litteratur als Fremdling ſtudiret, ſo fremde und buntſchaͤckig vorkom- men, als in dem altgalanten Stil die lateini- ſchen Woͤrter. Dieſe entfernte und veraltete Vorſtellungsarten geben dem Ganzen des Vortrages die Mine des Gelernten: ſie oͤffnen dem gelehrten Pſittaciſmus die Thuͤre, der ſich ihnen bequemt, und Worte nachplau- dert. Sie ſinds eben, die den Buͤcherphi- loſophen von der Weisheit des Lebens getrennt, da er ſich doch auf ſie maͤchtig ſtuͤzzen, und jederzeit von ihr ausgehen ſollte, um nachher ſeine eigne Sphaͤre zeitig genug zu finden. Sie ſinds, die den philoſophiſchen Magiſterton aufgebracht, der Ballaſt, ſtatt Gold fuͤhret, und von Weisheit ſtrotzet, die nicht eine ein- ladende Mine hat. Welch ein Unterſchied zwiſchen einem Moſes und Koͤlbele. Ohne Zweifel iſt auch ſelbſt zu Lehrbuͤchern die Sprache des geſunden Verſtandes die beſte, die ſich gelegentlich der wiſſenſchaftli- chen Vernunft mitzutheilen weiß. Es fuͤhret hier- H 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/129>, abgerufen am 05.05.2024.