vorüber. Sie sollen aus Beispielen sehen, daß, wenn man sich begnügt, was zehn an- dre vor uns gesagt, auf eine so Gott will! schöne Art zu sagen, ein Alltagsgesicht dar- aus werde, -- eine Alltagscomposition von hundert hübschen Stellen und Gedanken und Flickgen, die nicht helfen noch schaden, aber doch ins Auge fallen: -- daß, wenn man sein vornehmstes Verdienst in den schönen Aus- druck einer fremden Sprache sezzt; zuerst unsre Denkart, nachher selbst unsre Sprache, und wenn dieser Geschmack herrschend wird, endlich die Denkart und die Sprache der gan- zen Nation zurückbleibe. Alsdenn wird viel- leicht einst ein unpartheiischer Nachkomme uns die Grabschrift sezzen:
tu quoque, tu in summis, o dimidiate Meander Poneris et merito: puri sermonis amator. Lenibus atque vtinam scriptis adiuncta foret vis - - - vt aequato virtus polleret honore sum Graecis: neque in hac despectus parte iaceres: Vnum hoc maceror et doleo tibi deesse - -
10. Jn
G 3
voruͤber. Sie ſollen aus Beiſpielen ſehen, daß, wenn man ſich begnuͤgt, was zehn an- dre vor uns geſagt, auf eine ſo Gott will! ſchoͤne Art zu ſagen, ein Alltagsgeſicht dar- aus werde, — eine Alltagscompoſition von hundert huͤbſchen Stellen und Gedanken und Flickgen, die nicht helfen noch ſchaden, aber doch ins Auge fallen: — daß, wenn man ſein vornehmſtes Verdienſt in den ſchoͤnen Aus- druck einer fremden Sprache ſezzt; zuerſt unſre Denkart, nachher ſelbſt unſre Sprache, und wenn dieſer Geſchmack herrſchend wird, endlich die Denkart und die Sprache der gan- zen Nation zuruͤckbleibe. Alsdenn wird viel- leicht einſt ein unpartheiiſcher Nachkomme uns die Grabſchrift ſezzen:
tu quoque, tu in ſummis, o dimidiate Meander Poneris et merito: puri ſermonis amator. Lenibus atque vtinam ſcriptis adiuncta foret vis ‒ ‒ ‒ vt aequato virtus polleret honore sum Graecis: neque in hac deſpectus parte iaceres: Vnum hoc maceror et doleo tibi deeſſe ‒ ‒
10. Jn
G 3
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voruͤber. Sie ſollen aus Beiſpielen ſehen,
daß, wenn man ſich begnuͤgt, was zehn an-
dre vor uns geſagt, auf eine ſo Gott will!
ſchoͤne Art zu ſagen, ein Alltagsgeſicht dar-
aus werde, — eine Alltagscompoſition von
hundert huͤbſchen Stellen und Gedanken und
Flickgen, die nicht helfen noch ſchaden, aber
doch ins Auge fallen: — daß, wenn man ſein
vornehmſtes Verdienſt in den ſchoͤnen Aus-
druck einer fremden Sprache ſezzt; zuerſt
unſre Denkart, nachher ſelbſt unſre Sprache,
und wenn dieſer Geſchmack herrſchend wird,
endlich die Denkart und die Sprache der gan-
zen Nation zuruͤckbleibe. Alsdenn wird viel-
leicht einſt ein unpartheiiſcher Nachkomme
uns die Grabſchrift ſezzen:
tu quoque, tu in ſummis, o dimidiate Meander
Poneris et merito: puri ſermonis amator.
Lenibus atque vtinam ſcriptis adiuncta foret vis
‒ ‒ ‒ vt aequato virtus polleret honore
sum Graecis: neque in hac deſpectus parte iaceres:
Vnum hoc maceror et doleo tibi deeſſe ‒ ‒
10. Jn
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/109>, abgerufen am 18.07.2024.
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