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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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ahmten Rhythmus schön zu finden, und
unsre jüngere Bildercompositionen in sei-
ner Sprache zu bewundern. Sollte ich zu
eigen seyn: so weise man es mir; aber nicht
durch entscheidende Aussprüche: sondern durch
eine gründliche Untersuchung der schweren
Frage: was geht mit dem Leben einer
Sprache verlohren, und was bleibt?

Was bleibt, um sie verstehen, beurtheilen
und nachahmen zu können?



9.

So dörfte also der Ausdruck leiden müs-
sen, und ihm opfert man doch bei dieser Art
von Gedichten den Gedanken auf? -- ihn sahe
man als die Hauptschönheit an? -- "man
"glaubte, in dieser Sprache etwas so schön
"sagen zu können, als es in andern Spra-
"chen nicht anginge:" diesem Glauben zu gut
glaubte man das zweite: "daß die Alten alle
"Schönheiten dieser Art erschöpfet hätten;"
diesem Glauben folgte noch ein schwererer:

"daß

ahmten Rhythmus ſchoͤn zu finden, und
unſre juͤngere Bildercompoſitionen in ſei-
ner Sprache zu bewundern. Sollte ich zu
eigen ſeyn: ſo weiſe man es mir; aber nicht
durch entſcheidende Ausſpruͤche: ſondern durch
eine gruͤndliche Unterſuchung der ſchweren
Frage: was geht mit dem Leben einer
Sprache verlohren, und was bleibt?

Was bleibt, um ſie verſtehen, beurtheilen
und nachahmen zu koͤnnen?



9.

So doͤrfte alſo der Ausdruck leiden muͤſ-
ſen, und ihm opfert man doch bei dieſer Art
von Gedichten den Gedanken auf? — ihn ſahe
man als die Hauptſchoͤnheit an? — „man
„glaubte, in dieſer Sprache etwas ſo ſchoͤn
„ſagen zu koͤnnen, als es in andern Spra-
„chen nicht anginge:„ dieſem Glauben zu gut
glaubte man das zweite: „daß die Alten alle
„Schoͤnheiten dieſer Art erſchoͤpfet haͤtten;„
dieſem Glauben folgte noch ein ſchwererer:

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[96/0104] ahmten Rhythmus ſchoͤn zu finden, und unſre juͤngere Bildercompoſitionen in ſei- ner Sprache zu bewundern. Sollte ich zu eigen ſeyn: ſo weiſe man es mir; aber nicht durch entſcheidende Ausſpruͤche: ſondern durch eine gruͤndliche Unterſuchung der ſchweren Frage: was geht mit dem Leben einer Sprache verlohren, und was bleibt? Was bleibt, um ſie verſtehen, beurtheilen und nachahmen zu koͤnnen? 9. So doͤrfte alſo der Ausdruck leiden muͤſ- ſen, und ihm opfert man doch bei dieſer Art von Gedichten den Gedanken auf? — ihn ſahe man als die Hauptſchoͤnheit an? — „man „glaubte, in dieſer Sprache etwas ſo ſchoͤn „ſagen zu koͤnnen, als es in andern Spra- „chen nicht anginge:„ dieſem Glauben zu gut glaubte man das zweite: „daß die Alten alle „Schoͤnheiten dieſer Art erſchoͤpfet haͤtten;„ dieſem Glauben folgte noch ein ſchwererer: „daß

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/104>, abgerufen am 21.11.2024.