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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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terschied in der Bedeutung; ich sage das
schielend, was der Römer ganz sagte! --
Hier gehörte ein ganz ander Wort hin, das
mir aber nicht beifiel, oder das nicht in die-
sem Autor steht, oder das ich gar nicht in
einem Autor finde. -- Und denn? wo ha-
ben wir das griechische oder römische Ohr zur
Lenkung des Perioden? Wir ordnen ihn
nach grammatischen Regeln, oder halten ihn,
welches noch ärger ist, für ganz und gar frei
und willkührlich? -- Und wo haben wir den
lebendigen Wohllaut in unsrer Gewalt, die
wir nach prosodischen Regeln schreiben,
bald es für Kunst halten, ohne Elisionen,
bald es für erlaubt halten, mit den härtesten
Elisionen zu schreiben, nicht den hohen Wohl-
klang hören, in dem die Alten sangen, und
ihn also auch nie so genau treffen können, nicht
das Geheimniß des prosaischen und poeti-
schen Perioden verstehen können, weil wir
blos aus todten Buchstaben lernen, nicht die
stolze Anordnung der Bilder verstehen, die
Leben in die Sprache bringt. Würde sich
nicht oft ein Römer quälen müssen, um unsern
neuern Perioden zu lesen, unsern nachge-

ahmten

terſchied in der Bedeutung; ich ſage das
ſchielend, was der Roͤmer ganz ſagte! —
Hier gehoͤrte ein ganz ander Wort hin, das
mir aber nicht beifiel, oder das nicht in die-
ſem Autor ſteht, oder das ich gar nicht in
einem Autor finde. — Und denn? wo ha-
ben wir das griechiſche oder roͤmiſche Ohr zur
Lenkung des Perioden? Wir ordnen ihn
nach grammatiſchen Regeln, oder halten ihn,
welches noch aͤrger iſt, fuͤr ganz und gar frei
und willkuͤhrlich? — Und wo haben wir den
lebendigen Wohllaut in unſrer Gewalt, die
wir nach proſodiſchen Regeln ſchreiben,
bald es fuͤr Kunſt halten, ohne Eliſionen,
bald es fuͤr erlaubt halten, mit den haͤrteſten
Eliſionen zu ſchreiben, nicht den hohen Wohl-
klang hoͤren, in dem die Alten ſangen, und
ihn alſo auch nie ſo genau treffen koͤnnen, nicht
das Geheimniß des proſaiſchen und poeti-
ſchen Perioden verſtehen koͤnnen, weil wir
blos aus todten Buchſtaben lernen, nicht die
ſtolze Anordnung der Bilder verſtehen, die
Leben in die Sprache bringt. Wuͤrde ſich
nicht oft ein Roͤmer quaͤlen muͤſſen, um unſern
neuern Perioden zu leſen, unſern nachge-

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[95/0103] terſchied in der Bedeutung; ich ſage das ſchielend, was der Roͤmer ganz ſagte! — Hier gehoͤrte ein ganz ander Wort hin, das mir aber nicht beifiel, oder das nicht in die- ſem Autor ſteht, oder das ich gar nicht in einem Autor finde. — Und denn? wo ha- ben wir das griechiſche oder roͤmiſche Ohr zur Lenkung des Perioden? Wir ordnen ihn nach grammatiſchen Regeln, oder halten ihn, welches noch aͤrger iſt, fuͤr ganz und gar frei und willkuͤhrlich? — Und wo haben wir den lebendigen Wohllaut in unſrer Gewalt, die wir nach proſodiſchen Regeln ſchreiben, bald es fuͤr Kunſt halten, ohne Eliſionen, bald es fuͤr erlaubt halten, mit den haͤrteſten Eliſionen zu ſchreiben, nicht den hohen Wohl- klang hoͤren, in dem die Alten ſangen, und ihn alſo auch nie ſo genau treffen koͤnnen, nicht das Geheimniß des proſaiſchen und poeti- ſchen Perioden verſtehen koͤnnen, weil wir blos aus todten Buchſtaben lernen, nicht die ſtolze Anordnung der Bilder verſtehen, die Leben in die Sprache bringt. Wuͤrde ſich nicht oft ein Roͤmer quaͤlen muͤſſen, um unſern neuern Perioden zu leſen, unſern nachge- ahmten

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/103>, abgerufen am 24.11.2024.