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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Erst Leidenschaft, denn Empfindung, denn
Beschäftigungen, und endlich todte Malerey:
so ist der Gegenstand der Dichtkunst nach ver-
schiedenen Zeitaltern gesunken. Eben dersel-
be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schä-
ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemälde
entstanden, hat eine andere Veränderung zur Pa-
rallele, wie aus der Homerischen Jliade, eine
Aeneide, aus dem eidos des Pindars, eine
Ode des Horaz, aus dem melos des Ana-
kreons, eine Tändelei Catulls geworden: je-
ne redeten durch Ausdruck und Handlung,
diese redeten durch Worte und Schilderungen:
jene bewegten durch das, was sie zeigten,
durch Empfindung; bei diesen kam es sehr
in Betracht, auf was Art sie es vorzeig-
ten -- Kurz! wenn Jdylle das Landge-
dicht ist, das Leidenschaften und Empfindun-
gen kleiner Gesellschaften auf die sinnlichste
Art ausdrückt, so ist Theokrit ein Jdyllen-
dichter, und zwar der vollkommenste unter
allen, die ich kenne.

Aber Empfindungen und Leidenschaften
nach dem Jdeal? * Höchstverschönerte

Leiden-
* p. 124. 125.

Erſt Leidenſchaft, denn Empfindung, denn
Beſchaͤftigungen, und endlich todte Malerey:
ſo iſt der Gegenſtand der Dichtkunſt nach ver-
ſchiedenen Zeitaltern geſunken. Eben derſel-
be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schaͤ-
ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemaͤlde
entſtanden, hat eine andere Veraͤnderung zur Pa-
rallele, wie aus der Homeriſchen Jliade, eine
Aeneide, aus dem ειδος des Pindars, eine
Ode des Horaz, aus dem μελος des Ana-
kreons, eine Taͤndelei Catulls geworden: je-
ne redeten durch Ausdruck und Handlung,
dieſe redeten durch Worte und Schilderungen:
jene bewegten durch das, was ſie zeigten,
durch Empfindung; bei dieſen kam es ſehr
in Betracht, auf was Art ſie es vorzeig-
ten — Kurz! wenn Jdylle das Landge-
dicht iſt, das Leidenſchaften und Empfindun-
gen kleiner Geſellſchaften auf die ſinnlichſte
Art ausdruͤckt, ſo iſt Theokrit ein Jdyllen-
dichter, und zwar der vollkommenſte unter
allen, die ich kenne.

Aber Empfindungen und Leidenſchaften
nach dem Jdeal? * Hoͤchſtverſchoͤnerte

Leiden-
* p. 124. 125.
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[354/0186] Erſt Leidenſchaft, denn Empfindung, denn Beſchaͤftigungen, und endlich todte Malerey: ſo iſt der Gegenſtand der Dichtkunſt nach ver- ſchiedenen Zeitaltern geſunken. Eben derſel- be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schaͤ- ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemaͤlde entſtanden, hat eine andere Veraͤnderung zur Pa- rallele, wie aus der Homeriſchen Jliade, eine Aeneide, aus dem ειδος des Pindars, eine Ode des Horaz, aus dem μελος des Ana- kreons, eine Taͤndelei Catulls geworden: je- ne redeten durch Ausdruck und Handlung, dieſe redeten durch Worte und Schilderungen: jene bewegten durch das, was ſie zeigten, durch Empfindung; bei dieſen kam es ſehr in Betracht, auf was Art ſie es vorzeig- ten — Kurz! wenn Jdylle das Landge- dicht iſt, das Leidenſchaften und Empfindun- gen kleiner Geſellſchaften auf die ſinnlichſte Art ausdruͤckt, ſo iſt Theokrit ein Jdyllen- dichter, und zwar der vollkommenſte unter allen, die ich kenne. Aber Empfindungen und Leidenſchaften nach dem Jdeal? * Hoͤchſtverſchoͤnerte Leiden- * p. 124. 125.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/186>, abgerufen am 25.11.2024.