und schlechte Porträte sind eher, als Jdeale, als hochst verschonerte Jdeale; so müssen auch die erste Landgedichte gewesen seyn. Könnte dies nicht eine Ursache seyn, (wenn gegen den Eigensinn der Zeit noch muthmaßliche Ursa- chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land- dichter verloren gegangen sind, warum selbst die meisten Gedichte seines Lehrers, Bions, verloren gegangen sind: weil sie vielleicht die Natur noch zu gemein porträtirt haben? Nur Theokrit, ein später Dichter, wurde der er- ste Anfänger einer goldnen Epoche, weil er eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er- reichte, daß seine verschönerte Natur auch fei- nen Zeitaltern gefallen konnte.
Aber welche Natur hat er verschonert? Beschäftigungen? Oder Empfindungen und Leidenschaften? Der Anfang der Dicht- kunst ist wahrscheinlich eher von Leidenschaf- ten, als bloßen Beschäftigungen gewesen; diese waren theils nicht werth, theils nicht hin- reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin- gen. Dies bestätigen die ältesten Beispiele, und die Känntniß der ersten Zeiten noch mehr.
Erst
und ſchlechte Portraͤte ſind eher, als Jdeale, als ho̊chſt verſcho̊nerte Jdeale; ſo muͤſſen auch die erſte Landgedichte geweſen ſeyn. Koͤnnte dies nicht eine Urſache ſeyn, (wenn gegen den Eigenſinn der Zeit noch muthmaßliche Urſa- chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land- dichter verloren gegangen ſind, warum ſelbſt die meiſten Gedichte ſeines Lehrers, Bions, verloren gegangen ſind: weil ſie vielleicht die Natur noch zu gemein portraͤtirt haben? Nur Theokrit, ein ſpaͤter Dichter, wurde der er- ſte Anfaͤnger einer goldnen Epoche, weil er eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er- reichte, daß ſeine verſchoͤnerte Natur auch fei- nen Zeitaltern gefallen konnte.
Aber welche Natur hat er verſcho̊nert? Beſchaͤftigungen? Oder Empfindungen und Leidenſchaften? Der Anfang der Dicht- kunſt iſt wahrſcheinlich eher von Leidenſchaf- ten, als bloßen Beſchaͤftigungen geweſen; dieſe waren theils nicht werth, theils nicht hin- reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin- gen. Dies beſtaͤtigen die aͤlteſten Beiſpiele, und die Kaͤnntniß der erſten Zeiten noch mehr.
Erſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0185"n="353"/>
und ſchlechte Portraͤte ſind eher, als Jdeale,<lb/>
als ho̊chſt verſcho̊nerte Jdeale; ſo muͤſſen auch<lb/>
die erſte Landgedichte geweſen ſeyn. Koͤnnte<lb/>
dies nicht eine Urſache ſeyn, <hirendition="#i">(</hi>wenn gegen den<lb/>
Eigenſinn der Zeit noch muthmaßliche Urſa-<lb/>
chen gelten,) warum vor <hirendition="#fr">Theokrit</hi> alle Land-<lb/>
dichter verloren gegangen ſind, warum ſelbſt<lb/>
die meiſten Gedichte ſeines Lehrers, <hirendition="#fr">Bions,</hi><lb/>
verloren gegangen ſind: weil ſie vielleicht die<lb/>
Natur noch zu gemein portraͤtirt haben? Nur<lb/>
Theokrit, ein ſpaͤter Dichter, wurde der er-<lb/>ſte Anfaͤnger einer goldnen Epoche, weil er<lb/>
eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er-<lb/>
reichte, daß ſeine verſchoͤnerte Natur auch fei-<lb/>
nen Zeitaltern gefallen konnte.</p><lb/><p>Aber welche Natur hat er verſcho̊nert?<lb/><hirendition="#fr">Beſchaͤftigungen?</hi> Oder Empfindungen<lb/>
und Leidenſchaften? Der Anfang der Dicht-<lb/>
kunſt iſt wahrſcheinlich eher von Leidenſchaf-<lb/>
ten, als bloßen <hirendition="#fr">Beſchaͤftigungen</hi> geweſen;<lb/>
dieſe waren theils nicht werth, theils nicht hin-<lb/>
reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin-<lb/>
gen. Dies beſtaͤtigen die aͤlteſten Beiſpiele,<lb/>
und die Kaͤnntniß der erſten Zeiten noch mehr.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Erſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[353/0185]
und ſchlechte Portraͤte ſind eher, als Jdeale,
als ho̊chſt verſcho̊nerte Jdeale; ſo muͤſſen auch
die erſte Landgedichte geweſen ſeyn. Koͤnnte
dies nicht eine Urſache ſeyn, (wenn gegen den
Eigenſinn der Zeit noch muthmaßliche Urſa-
chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land-
dichter verloren gegangen ſind, warum ſelbſt
die meiſten Gedichte ſeines Lehrers, Bions,
verloren gegangen ſind: weil ſie vielleicht die
Natur noch zu gemein portraͤtirt haben? Nur
Theokrit, ein ſpaͤter Dichter, wurde der er-
ſte Anfaͤnger einer goldnen Epoche, weil er
eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er-
reichte, daß ſeine verſchoͤnerte Natur auch fei-
nen Zeitaltern gefallen konnte.
Aber welche Natur hat er verſcho̊nert?
Beſchaͤftigungen? Oder Empfindungen
und Leidenſchaften? Der Anfang der Dicht-
kunſt iſt wahrſcheinlich eher von Leidenſchaf-
ten, als bloßen Beſchaͤftigungen geweſen;
dieſe waren theils nicht werth, theils nicht hin-
reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin-
gen. Dies beſtaͤtigen die aͤlteſten Beiſpiele,
und die Kaͤnntniß der erſten Zeiten noch mehr.
Erſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/185>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.