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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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wie das Lispeln des Alcib[i]ades selbst mit
zur Schönheit wird --

Unsere gemeine Anakreontisten sind Fleder-
mäuse, die in der mitlern Region vleiben,
das Jdeal nicht erreichen, nd bei Andeu-
tung des Vorfalls niedrig werden. Aber
Gleim ist hier der Vergleichung werth: er
verschönert mehr, als die Französischen Ana-
kreontisten, weil er die Rei e der Natur blos
zu erheben sucht; nur steht er dem Tejer
nach. Ein Drittheil seiner Liederchen sind
schöne Porträte, bei denen der Vorfall durch-
blikt; zwei Drittheile aber kämpfen zwischen
dem eignen Ton und der Annäherung zum
Griechen: erhaben über die Aehnlichkeit, und
noch entfernt vom Allgemeinen. Nun weiß
man aber, daß die Griechen ihre gute Ursa-
chen hatten, bei ihren Olympischen Säulen
lieber auf Schönheit, als Aehnlichkeit, zu sehen.

Daher ist im Alten mehr Einfalt: Ein-
falt, die sein Ganzes gebildet hat, und die ich
an Theilen nicht bemerken durf. Jm Neuen
herrscht sie mehr im Detail, und im Ganzen
ist oft statt der schönen Einfalt, Kunst bemerk-
bar. Man vergleiche Anakreons Taube

und

wie das Liſpeln des Alcib[i]ades ſelbſt mit
zur Schoͤnheit wird —

Unſere gemeine Anakreontiſten ſind Fleder-
maͤuſe, die in der mitlern Region vleiben,
das Jdeal nicht erreichen, nd bei Andeu-
tung des Vorfalls niedrig werden. Aber
Gleim iſt hier der Vergleichung werth: er
verſchoͤnert mehr, als die Franzoͤſiſchen Ana-
kreontiſten, weil er die Rei e der Natur blos
zu erheben ſucht; nur ſteht er dem Tejer
nach. Ein Drittheil ſeiner Liederchen ſind
ſchoͤne Portraͤte, bei denen der Vorfall durch-
blikt; zwei Drittheile aber kaͤmpfen zwiſchen
dem eignen Ton und der Annaͤherung zum
Griechen: erhaben uͤber die Aehnlichkeit, und
noch entfernt vom Allgemeinen. Nun weiß
man aber, daß die Griechen ihre gute Urſa-
chen hatten, bei ihren Olympiſchen Saͤulen
lieber auf Schoͤnheit, als Aehnlichkeit, zu ſehen.

Daher iſt im Alten mehr Einfalt: Ein-
falt, die ſein Ganzes gebildet hat, und die ich
an Theilen nicht bemerken durf. Jm Neuen
herrſcht ſie mehr im Detail, und im Ganzen
iſt oft ſtatt der ſchoͤnen Einfalt, Kunſt bemerk-
bar. Man vergleiche Anakreons Taube

und
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[340/0172] wie das Liſpeln des Alcibiades ſelbſt mit zur Schoͤnheit wird — Unſere gemeine Anakreontiſten ſind Fleder- maͤuſe, die in der mitlern Region vleiben, das Jdeal nicht erreichen, nd bei Andeu- tung des Vorfalls niedrig werden. Aber Gleim iſt hier der Vergleichung werth: er verſchoͤnert mehr, als die Franzoͤſiſchen Ana- kreontiſten, weil er die Rei e der Natur blos zu erheben ſucht; nur ſteht er dem Tejer nach. Ein Drittheil ſeiner Liederchen ſind ſchoͤne Portraͤte, bei denen der Vorfall durch- blikt; zwei Drittheile aber kaͤmpfen zwiſchen dem eignen Ton und der Annaͤherung zum Griechen: erhaben uͤber die Aehnlichkeit, und noch entfernt vom Allgemeinen. Nun weiß man aber, daß die Griechen ihre gute Urſa- chen hatten, bei ihren Olympiſchen Saͤulen lieber auf Schoͤnheit, als Aehnlichkeit, zu ſehen. Daher iſt im Alten mehr Einfalt: Ein- falt, die ſein Ganzes gebildet hat, und die ich an Theilen nicht bemerken durf. Jm Neuen herrſcht ſie mehr im Detail, und im Ganzen iſt oft ſtatt der ſchoͤnen Einfalt, Kunſt bemerk- bar. Man vergleiche Anakreons Taube und

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/172>, abgerufen am 23.11.2024.