sen. Jch sage: sein Jnhalt: denn da er den Vater des Weins, von seinem Blitzstrale getroffen, mir brausendem Munde sang, und in einer ehrwürdigen heiligen Trunkenheit sang: so paßt er am meisten auf den Abgrund der Zeiten, da man aus Aberglauben die Kraft einer göttlichen Gegenwart fühlte, da man mit starken sinnlichen Empfindungen begabt, den Eindruck der Jugendlehren und Rational- sagen beinahe zu einer wirklichen Anschauung erhob, da man aus Unwissenheit nicht blos die Fabelgeschichten als Wahrheiten glaubte, sondern mit der Einbildungskraft sie bis zum Leben ausmalte, und also die Begeisterung schmeckte, die Apoll über die Pythisse, Ju- piter über die Sibyllen, Cybele über die Gal- [l]er, und Bacchus über die Dithyramben- sänger ausgoß. Daher naheten sich die lez- tern der Entzückung, die einer Raserei glich, Dionusoio anaktos kalon exarxai melos oida dithurambon, oino sunkeraunotheis phrenas: daher fing er gemeiniglich mit dem begeisterten: amphi moi anax, an: daher je- ne Ausbreitung der Seele, die im Parenthyr- sus der Trunkenheit und der Beschauung himm- lischer Dinge ausrief:
Auditis
ſen. Jch ſage: ſein Jnhalt: denn da er den Vater des Weins, von ſeinem Blitzſtrale getroffen, mir brauſendem Munde ſang, und in einer ehrwuͤrdigen heiligen Trunkenheit ſang: ſo paßt er am meiſten auf den Abgrund der Zeiten, da man aus Aberglauben die Kraft einer goͤttlichen Gegenwart fuͤhlte, da man mit ſtarken ſinnlichen Empfindungen begabt, den Eindruck der Jugendlehren und Rational- ſagen beinahe zu einer wirklichen Anſchauung erhob, da man aus Unwiſſenheit nicht blos die Fabelgeſchichten als Wahrheiten glaubte, ſondern mit der Einbildungskraft ſie bis zum Leben ausmalte, und alſo die Begeiſterung ſchmeckte, die Apoll uͤber die Pythiſſe, Ju- piter uͤber die Sibyllen, Cybele uͤber die Gal- [l]er, und Bacchus uͤber die Dithyramben- ſaͤnger ausgoß. Daher naheten ſich die lez- tern der Entzuͤckung, die einer Raſerei glich, Διονυσοιο ανακτος καλον εξαρξαι μελος οιδα διϑυραμβον, οινω συνκεραυνωϑεις φρενας: daher fing er gemeiniglich mit dem begeiſterten: αμφι μοι αναξ, an: daher je- ne Ausbreitung der Seele, die im Parenthyr- ſus der Trunkenheit und der Beſchauung himm- liſcher Dinge ausrief:
Auditis
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ſen. Jch ſage: ſein Jnhalt: denn da er
den Vater des Weins, von ſeinem Blitzſtrale
getroffen, mir brauſendem Munde ſang, und
in einer ehrwuͤrdigen heiligen Trunkenheit
ſang: ſo paßt er am meiſten auf den Abgrund
der Zeiten, da man aus Aberglauben die Kraft
einer goͤttlichen Gegenwart fuͤhlte, da man
mit ſtarken ſinnlichen Empfindungen begabt,
den Eindruck der Jugendlehren und Rational-
ſagen beinahe zu einer wirklichen Anſchauung
erhob, da man aus Unwiſſenheit nicht blos
die Fabelgeſchichten als Wahrheiten glaubte,
ſondern mit der Einbildungskraft ſie bis zum
Leben ausmalte, und alſo die Begeiſterung
ſchmeckte, die Apoll uͤber die Pythiſſe, Ju-
piter uͤber die Sibyllen, Cybele uͤber die Gal-
ler, und Bacchus uͤber die Dithyramben-
ſaͤnger ausgoß. Daher naheten ſich die lez-
tern der Entzuͤckung, die einer Raſerei glich,
Διονυσοιο ανακτος καλον εξαρξαι μελος
οιδα διϑυραμβον, οινω συνκεραυνωϑεις
φρενας: daher fing er gemeiniglich mit dem
begeiſterten: αμφι μοι αναξ, an: daher je-
ne Ausbreitung der Seele, die im Parenthyr-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/138>, abgerufen am 16.02.2025.
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