Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.Jch halte die Hymnen des Orpheus für Homer, Aeschylus, Sophokles schuf- danken
Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr Homer, Aeſchylus, Sophokles ſchuf- danken
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Jch halte die Hymnen des Orpheus fuͤr
nicht ſo alt, daß ſie, ſo wie ſie ſind, bis an den
Orpheus reichen ſollten; aber, ſo wie unſre
Kirchenſprache, und Kirchenpoeſie, beſtaͤndig
Jahrhunderte zuruͤckbleiben: ſo zeigen ſie,
nach meiner Meinung, am beſten, wie die aͤl-
teſte Sprache der Poeſie, zur Zeit des hohen
Stils geweſen iſt. Wohlan nun! verſucht,
dieſe Hymnen ſo ins Deutſche zu verpflanzen,
als Skaliger ſie in Altlatein uͤberſezte: ihr
werdet, ohngeachtet aller Staͤrke doch oft das
alte Deutſche vermiſſen, das bei den alten
Druiden in ihren heiligen Eichenwaͤldern Or-
pheiiſch geklungen haben mag! — Solche kuͤh-
ne Verſuche mache ein junges munteres Ge-
nie fuͤr unſre Sprache; aber es laſſe auch al-
te unparteiiſche Philologen daruͤber urteilen.
Homer, Aeſchylus, Sophokles ſchuf-
fen einer Sprache, die noch keine ausgebildete
Proſe hatte, ihre Schoͤnheiten an; ihr Ueber-
ſezzer pflanze dieſe Schoͤnheiten in eine Spra-
che, die auch ſelbſt im Sylbenmaas und —
wie wir bewieſen zu haben glauben — ſelbſt
im Hexameter Proſe bleibt, daß ſie ſo wenig
als moͤglich verlieren. Jene kleideten Ge-
danken
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